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  Heft 72, Dezember 2007, 18. Jhrg

Editorial

Das Heft widmet sich zu Beginn einem aktuellen Ereignis, der von der Krise der
amerikanischen Hypotheken verursachten Unruhe an den internationalen Finanzmärkten. Jörg
Huffschmid befasst sich dabei mit den Gründen für die wachsende Bedeutung der
Finanzmärkte, die er in der Produktionssphäre verortet. Die neoliberale Politik der
Umverteilung hat zu einem Überschuss der Gewinne geführt, die in der ‚realen’ Ökonomie
keine Anlagemöglichkeiten mehr finden. Diese Überakkumulation führt zu einer Aufblähung
der Finanzökonomie, welche krisenhaft auf die Produktionssphäre zurückschlägt. Daher
reicht es nicht, Maßnahmen gegen krisenhafte Entwicklungen auf die Finanzmärkte zu
beschränken, es muss an den Verteilungsverhältnissen in der Produktion angesetzt werden.

Fünf Beiträge dieses Hefts widmen sich dem Themenschwerpunkt Faschismus: Geschichte,
Forschung Medien. Dass „die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt
und die Vergangenheit deutet“ – dieses Diktum des konservativen Historikers Michael
Stürmer zum Auftakt des Historikerstreits 1986 – hat auch heute noch seine Gültigkeit und
verdeutlicht den täglichen Deutungskampf, der mit der Darstellung und Wertung der
Geschichte verbunden ist. Die mit den markanten historischen Jahrestagen und Daten, vom
90. Jahrestag der Oktoberrevolution, über den 9. November bis zum 75. Jahrestag der
Machtübertragung an den deutschen Faschismus, einhergehenden Debatten veranschaulichen
diesen Deutungskampf aufs Neue. Dabei steht aus deutscher Perspektive die Frage des
Faschismus nach wie vor an zentraler Stelle, weshalb der Schwerpunkt des vorliegenden
Heftes unterschiedliche Deutungsangebote der faschistischen Vergangenheit samt ihrer
unmittelbaren Vorgeschichte behandelt.

Peter Scherer spannt am für Deutschland zentralen Datum des 9. November einen weiten Bogen
von der 1848er Revolution über die Novemberrevolution 1918, den so genannten Hitler-Putsch
1923 bis zur Pogramnacht 1938 und dem Fall der Mauer 1989. Trotz der überwältigenden
Erinnerung an den Ter-ror von 1938 müsse die Linke im November 1918 das zentrale Datum
eines eigenen, alternativen Entwicklungspfades erkennen. Faschismustheoretische
Fragestellungen sind in Deutschland bis heute einem starken Ideologieverdacht ausgesetzt,
gilt doch der Faschismusbegriff hier als politischer Versuch der Linken, den Kapitalismus
zu diskreditieren. Guido Speckmann und Gerd Wiegel stellen in ihrem Beitrag eine ganze
Reihe neuerer faschismustheoretischer Ansätze vor, die zumeist dem angloamerikanischen
Raum entstammen. Die differenzierten Debatten der vergleichenden Faschismusforschung
liefern den Autoren Hinweise, wie auch in Deutschland verschiedene Deutungsvarianten der
NS-Herrschaft für eine moderne Faschismustheorie nutzbar gemacht werden könnten.

Vor allem der Fokus auf die ökonomischen Triebkräfte des Faschismus ist es, der die
Faschismustheorie für seine Gegner so verdächtig macht. Das breit diskutierte Buch von Adam Tooze über die „Wirtschaft im Nationalsozialismus“ bestätigt viele Annahmen und Ergebnisse der Faschismusforschung, auch ohne dass der Autor sich als Vertreter dieses Ansatzes ausmachen lässt. Werner Röhr analysiert die umfassende Arbeit von Tooze und arbeitet detailliert ihre Stärken, aber auch ihre Leerstellen heraus. Das Bild der faschistischen Vergangenheit wird zu großen Teilen jedoch nicht von der Geschichtswissenschaft, sondern durch die mediale Inszenierung dieser Vergangenheit geprägt. Die Beiträge von Ulrich Schneider und Hannes Heer befassen sich mit Beispielen solcher medialer Vermittlungen. Während Schneider eine ganze Reihe solcher Darstellungen in den Blick nimmt, konzentriert sich Heer auf die Arbeiten des wohl erfolgreichsten
Produzenten solcher Dokumentationen: Guido Knopp. Beiden Autoren geht es darum, die in diesen Beiträgen enthaltenen Geschichtsmythen zu identifizieren und zu verdeutlichen, welches massenmedial vermittelte Bild des Faschismus hier entworfen wird.

Im Themenschwerpunkt Medien: Hegemonie und Gegenhegemonie analysieren Dieter Dehm und
Manfred Sohn – ausgehend von der Hegemonie-Theorie Antonio Gramscis – die Bedeutung des
Mediensystems bei der Organisation und Stabilisierung politischer Macht. Gegenwärtig sei
eine „Zergliederung der Medienindustrie“ zu beobachten, die nicht als ein Zeichen von
Schwäche misszuverstehen sei. Eine auf die Herausbildung einer linken Gegenöffentlichkeit
orientierte medien- und kulturpolitische Strategie müsse die Förderung und Organisation eigener Medien ebenso einschließen wie vielfältige Formen von Bündnispolitik mit Kulturschaffenden, „Stars“ und Wissenschaftlern.

Werner Biermann und Arno Klönne analysieren mit Bertelsmann einen der einflussreichsten
Medienkonzerne der Welt. Dabei arbeiten sie heraus, wie insbesondere die Bertelsmann-Stiftung Einfluss auf verschiedene Politikfelder (von der Außen- bis zur Bildungspolitik) nimmt und nicht zuletzt als ein treibender Motor des Abbaus sozialer Rechte in der Bundesrepublik wirkt. Die Verbindung unternehmerischer Profitinteressen mit „gemeinnütziger“ zivilgesellschaftlicher und politischer Einflussnahme, wie sie Bertelsmann-Konzern und -Stiftung in der BRD betreiben, wäre in anderen Ländern (etwa den USA) ein Straftatbestand.

Weitere Beiträge in diesem Heft: Andrej N. Pjatakov untersucht, inwiefern die „Bolivarianische Alternative“ eine neue Perspektive für die Entwicklung Lateinamerikas bedeutet. Werner Seppmann erläutert die Aktualität einer kritischen Gesellschaftstheorie am Beispiel des theoretischen Werkes von Leo Kofler. Und Roman George zeigt in seiner Analyse des großen Telekom-Streiks die Ambivalenz von dessen Ergebnissen. Außerdem wieder zahlreiche Tagungsberichte und Buchbesprechungen.

Z 73 (März 2008) diskutiert die Aktualität der Marxschen Kapitalismuskritik mit Blick auf den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. 
 
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