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Heft 58, Juni 2004, 15. Jhrg
Peter Römer
Geltung und Wirksamkeit verfassungsrechtlicher Normen
Nach fünfzig Jahren: Wolfgang Abendroths
Sozialstaatsinterpretation
Die
kapitalistische warenproduzierende Eigentümer-, Markt- und
Konkurrenzgesellschaft ist ihrem Wesen und ihrer Funktionsweise nach eine
asoziale Gesellschaft. Sie hat kein Verhältnis zu einer wie auch immer
definierten sozialen Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit, die sie einzig
garantieren kann, ist der „gerechte“ Tausch der Waren, zu denen auch die
Arbeitskraft gehört, zu ihrem Wert, der gebildet wird durch die in der Ware
inkorporierte im gesellschaftlichen Durchschnitt erforderliche Arbeit.1
Aus sich heraus ist die kapitalistische Marktwirtschaft nicht in der Lage,
Verteilungs- und Zuteilungsmechanismen hervorzubringen, die soziales Elend,
soziale Benachteiligung und soziale Ungleichheit verhindern oder abbauen können,
sie reproduziert vielmehr stets neu das Verhältnis von Kapital und Lohnarbeit.
Die zur Zeit herrschende volkswirtschaftliche neoklassische Lehre, die dies
System affirmiert, sieht – insoweit konsequent – ihre Aufgabe denn auch nicht
darin, Verteilungsprobleme zu analysieren und gegebenenfalls zu lösen. Ihr Ziel
ist, die Bedingungen für ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum aufzuzeigen;
dies Wachstum werde, so wird unterstellt,
letztendlich für jedes Mitglied der Gesellschaft von Vorteil sein, wenn auch
nicht für jedes in gleicher Weise. Soziale Umverteilungseffekte sind einer
kapitalistisch organisierten Wirtschaft zwar wesensfremd, nicht aber
Umverteilungen an sich. Sie ist eine höchst dynamische Wirtschaft; das
unterscheidet sie z. B. von einer feudalen Produktionsweise. Die
Umverteilungsprozesse, die eine warenproduzierende Gesellschaft bewirkt, sind
beträchtlich und sie verstärken sich, wenn die gesellschaftliche Produktivkraft
der Arbeit sprunghaft gesteigert wird, wie gegenwärtig durch die Entwicklung der
Mikroelektronik. Dann verschärft sich national wie international der
Konkurrenzkampf, große Kapitalmassen werden vernichtet oder von den Konkurrenten
aufgesaugt und das Heer derjenigen, die ausschließlich vom Verkauf ihrer
Arbeitskraft existieren können, wird größer und zugleich damit auch die Zahl der
Elenden, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, aber nicht können.2
Einzelne Mitglieder der Gesellschaft mögen zwar milde Wohltätigkeit üben, aber
das kapitalistische System selbst wird dadurch nicht berührt. Bei Strafe des
Untergangs muss der Kapitalist als Kapitaleigentümer agieren, muss seine „Charaktermaske“ aufsetzen. Denn wie Brechts Peachum weiß: „Wir wären
gut – anstatt so roh, doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.“3
Auf die marktwirtschaftlichen Eigentumsverhältnisse allein kommt es allerdings
nicht an. Eine Gesellschaft wird nur unzureichend erkannt, wenn sie lediglich als Eigentümer/Nichteigentümer-gesellschaft betrachtet wird. In ihr
vollziehen sich zahlreiche andere Kommunikationen; sie ist stets zugleich
politische, kulturelle, religiöse, ethnische, nationale Gesellschaft. Mit dem
Begriff der zivilen Gesellschaft wird versucht, einige dieser gesellschaftlichen
Strukturen und Kommunikationen zu erfassen. Dieser Begriff wird aber zur
Ideologie – oder sogar zum politischen Kampfinstrument – wenn dabei von
den Eigentumsverhältnissen abstrahiert wird, die das bestimmende Zentrum
4
und den harten Kern des Ganzen, dessen Wahrheit, ausmachen, von dem aus
die hegemoniale Herrschaft sich formiert.
Der Verfassungskompromiss und seine Aufkündigung in der Weimarer Republik
Gesellschaftliche
Funktionsgesetzlichkeiten wie die der kapitalistischen Warenproduktion können
nicht aufgehoben werden, ohne die Gesellschaft, in der sie sich entfalten,
selbst aufzuheben. Aber sie können, wenn einmal erkannt, modifiziert werden.
In langen, erbitterten, zähen Kämpfen haben die Arbeiter soziale Verbesserungen
der Arbeitsbedingungen durchgesetzt; dabei waren ihre Gegner oft genug nicht nur
die Eigentümer der Produktionsmittel, sondern Gegner war auch direkt der Staat,
seine bewaffnete Macht, seine Gerichte. Mit dem Wachsen der Arbeiterbewegung und
dem Anwachsen ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht konnte es teilweise
gelingen, den Staat zu Änderungen der bestehenden Verhältnisse zu bewegen. Die
Sozialgesetzgebung des Deutschen Reiches – Gesetz über die Krankenversicherung
der Arbeiter 1883, Unfallversicherungsgesetz 1884, Gesetz über die Invaliditäts-
und Alterssicherung 1889 – war ein typischer, letztlich erfolgloser Versuch,
durch soziale Zugeständnisse die Sozialdemokratie politisch zu schwächen und zu
integrieren, nachdem die repressiven Sozialistengesetze, den weiteren Aufstieg
der Partei nicht hat ten verhindern können.
Das unmittelbare Einfordern sozialer Zugeständnisse im Arbeitskampf mit den
Arbeit„gebern“ war und ist jedoch der Grundtatbestand für die Verbesserung der
Arbeitsbedingungen der entgeltabhängig Arbeitenden. Isolierte, politische
Aktionen, die sich ausschließlich an den Staat, insbesondere an den staatlichen
Gesetzgeber richten, bleiben erfolglos, wenn der Wille und die Kraft zum
Arbeitskampf und zur Bildung außerparlamentarischer Opposition fehlen.
Der Eingriff in die primären Aneignungs- und Eigentumsverhältnisse durch den
Staat im Interesse der Nichteigentümer war in größerem Umfang nur in besonderen,
für die bestehenden Eigentumsverhältnisse gefahrvollen Situationen möglich; dann
nämlich, wenn solche Eingriffe zugleich im Interesse der Bewahrung dieser
Verhältnisse geboten schienen.
Solche Ausnahmelagen haben sich nach den verlorenen beiden Weltkriegen ergeben.
Diese waren von den führenden politischen, militärischen und wirtschaftlichen
Kräften mit großer Härte und Grausamkeit geführt worden. Von den
Vernichtungsschlachten der beiden Kriege wurde nicht nur der äußere Feind
getroffen, sondern auch das eigene Volk, das zudem die Folgen der totalen
Niederlage zu tragen hatte.
So entstand mit und unmittelbar nach der militärischen Niederlage des Deutschen
Reiches 1918 eine Situation, in der eine grundlegende Umgestaltung der
gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse möglich schien und große Teile
der Arbeiterschaft und der Soldaten bereit waren, sie zu erkämpfen.
Herausgekommen ist, so Rosa Luxemburg die „elende halbe Revolution des 9.
November“.5
Das Elend, das Rosa Luxemburg Ende Dezember 1918 zutreffend benannte, sollte
seine ganze Größe sehr bald zeigen. Es gingen zwar der Kaiser, die Könige, die
Großherzöge und alle, die ihre Macht nicht auf den Willen des Volkes gegründet
hatten, sondern ideologisch auf das dynastische Prinzip und faktisch auf das
Machtbündnis mit Adel und Bürgertum. Aber die Generäle, Wirtschaftskapitäne,
Richter, Professoren, Priester und Verwaltungsbeamte blieben und damit
diejenigen, die in ihrer überwältigenden Mehrheit die Republik ablehnten und sie
später dem Nationalsozialismus überantworteten.
Die Mehrheitssozialdemokratie und die Führungen der Gewerkschaften wollten die
Revolution nicht, bekanntlich hasste Friedrich Ebert sie „wie die Sünde“. Sie
suchten stattdessen das Bündnis mit den alten Kräften. Die Weichen waren früh
gestellt worden durch das Bündnis von Ebert mit der Heeresleitung, und dem
Novemberabkommen zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften.6
Diese Bündnisse wurden von der SPD gesucht, weil die Hoffnung bestand, die
beiden wichtigsten Ziele der Sozialdemokratie auch durch Kompromisse erreichen
zu können: Die Einführung der parlamentarischen Demokratie, soziale
Zugeständnisse und das Offenhalten der zukünftigen
Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse für weitere gesellschaftliche
Veränderungen. Noch vor der Wahl der Nationalversammlung und des Reichstags
wurden durch den Rat der Volksbeauftragten das Wahlrecht der Frauen, der
Achtstundentag sowie die Anerkennung der Tarifparteien und ihrer Verträge
eingeführt. Alle zu Beginn des Krieges aufgehobenen Arbeiterschutzbestimmungen
wurden wieder in Kraft gesetzt.
Das parlamentarische Regierungssystem, also die Abhängigkeit der Regierung vom
Vertrauen der Parlamentsmehrheit wurde sowohl im Reich als auch in den Ländern
durchgesetzt. Die Bismarcksche Reichsverfassung hatte keine Grundrechte
enthalten. In der Weimarer Verfassung indes wurden nicht nur die klassischen
Freiheitsrechte normiert, sondern auch soziale Grundrechte, soziale
Staatszielbestimmungen und soziale Institutionen. Sehr exakt und
widerspruchsfrei waren die sozialen Ziele, die dem staatlichen Handeln von der
Verfassung vorgegeben wurden, nicht formuliert. Der Art.151, der erste Artikel
des Abschnitts über „Das Wirtschaftsleben“ kann insoweit als exemplarisch
zitiert werden. „Die Ordnung des Wirtschaftslebens muss den Grundsätzen der
Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins
für alle entsprechen. In diesen Grenzen ist die wirtschaftliche Freiheit des
Einzelnen zu sichern.“ Aber es gab auch sehr konkrete Gesetzgebungsaufträge, so
z. B. der Auftrag, ein umfassendes Versicherungswesen unter maßgebender
Mitwirkung der Versicherten zu schaffen, u.a. zur Vorsorge
gegen die wirtschaftlichen Folgen von Alter und Schwäche. Sehr fortschrittlich
war auch die Bestimmung, das Reich solle für eine zwischenstaatliche Regelung
eintreten, die ein Mindestmaß an sozialen Rechten für die „gesamte arbeitende
Klasse der Menschheit“ anstrebt, Art.162 WRV. Auf die einzelnen sozialstaatlich
relevanten Normen kann hier nicht eingegangen werden.7
Auf die entscheidende Frage aber, was der Staat im Bereich der Wirtschaft, der
Arbeit und des Sozialen regeln dürfe, war die Antwort der Verfassung eindeutig:
Der Staat kann vor allem durch seine Gesetzgebung eingreifen, planen, gestalten
und umgestalten.
Die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung konnte also gemäß dem demokratischen
Mehrheitswillen verändert werden. Sie war, auch in ihrem Kernbereich, dem Staat
nicht unantastbar vorgegeben. Das zeigte sich deutlich bei der
verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Privateigentums. Das Eigentum
verpflichte, so bestimmte die Verfassung, und sein Gebrauch solle zugleich
Dienst sein für das gemeine Beste – das war eine recht leere und reichlich
pathetische Norm. Eindeutig war demgegenüber die Aussage, der Inhalt des
Eigentums und seine Schranken ergäben sich aus den Gesetzen. Der Inhalt des
Eigentums war nicht verfassungsrechtlich als Recht, über das Eigentumsobjekt
nach freiem Belieben zu verfügen, festgelegt, sondern er ergab sich aus den
Gesetzen. Die Inhaltsbestimmung umfasste auch die Entscheidung darüber, was
überhaupt Objekt des Privateigentumsrechts sein kann. Sachen im
Allgemeingebrauch, Wasser z. B. oder Meeres- und Seeufern oder einmaligen
Kultur- und Naturdenkmälern konnten demgemäss andere, öffentlich rechtliche
Eigentumsformen zugewiesen werden, so dass sie nicht dem privaten Nutzen dienen,
sondern dem der Allgemeinheit. Auch konnten für die Vergesellschaftung geeignete
private wirtschaftliche Unternehmungen in Gemeineigentum überführt werden in
sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen, die für die Enteignung galten, Art156
Abs.1 WRV. Die Enteignung als die Entziehung eines konkreten Eigentumsobjekts
zum Wohle der Allgemeinheit erfolgte zwar gegen angemessene Entschädigung, aber
nur, wenn ein Reichsgesetz nicht etwas anderes bestimmte. Eine
entschädigungslose Enteignung und Vergesellschaftung war also möglich.8
Die Geschichte der Weimarer Republik lehrt aber auch, dass einmal errungene
gesetzliche und verfassungsrechtliche Positionen und Möglichkeiten stets in
Gefahr sind, verloren zu gehen, wenn die Machtverhältnisse sich ändern und die
Kompromisse aufgekündigt werden, deren Ergebnisse diese Rechte waren.
Das zeigte sich in den Angriffen auf das Tarifvertragsrecht und den gesetzlichen
Arbeitstag, aber vor allem in den Versuchen zur Umgestaltung der
Verfassungsordnung durch die Verfassungslehre. Seitens der
Mehrheitssozialdemokratie war die revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft
aufgegeben und sogar im Bündnis mit den früheren Kräften bekämpft worden, um
dafür die Möglichkeit einer gesetzlichen Reform mit dem Endziel des Sozialismus
einzuhandeln. Das Bestreben des bürgerlichen Lagers war, diese
verfassungsrechtlich garantierte Möglichkeit wieder zu beseitigen. Solange eine
Änderung der Verfassung politisch nicht möglich war, wurde versucht, durch eine
neue Auslegung die Verfassung zu ändern.
Vor allem durch die neue Interpretation der verfassungsrechtlichen
Eigentumsordnung sollten die Handlungsmöglichkeiten des demokratisch gewählten
Gesetzgebers beschränkt werden.9 Dies geschah durch die
Behauptung, der Gesetzgeber müsse das Privateigentum als gesellschaftliche
Einrichtung, als Institut, bewahren und als grundsätzlich freie, wenn auch
einschränkungsfähige Verfügungsgewalt im Interesse seiner „Privatnützigkeit“
erhalten; außerdem sei nicht nur das Sacheigentum geschützt, sondern jedes
vermögenswerte Recht. Soweit war der Eigentumsschutz noch nicht einmal im
Kaiserreich gezogen worden; vielmehr war ganz herrschende Lehre gewesen, die
Grundrechte, also auch das Grundrecht des Eigentums, richteten sich nur gegen
die Verwaltung, nicht aber an den Gesetzgeber. Diese neue Lehre,10
die sich jedoch noch nicht voll durchsetzen konnte, wurde komplettiert durch die
Versuche, die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze der Kontrolle durch das
Reichsgericht zu unterwerfen.
Radikaler noch ging Carl Schmitt vor. Dabei geht es in diesem Zusammenhang zwar
auch, aber nicht in erster Linie um seine vieldiskutierte Demokratie- und
Parlamentarismuskritik, auch nicht um seine Auslegung des Art. 48 WRV, des
sogenannten Notstandsartikels, oder um seine Inthronisierung des
Reichspräsidenten als Hüter der Verfassung.
Sein grundlegender Angriff auf die Weimarer Verfassung kommt vielmehr im Gewand
hochabstrakter verfassungstheoretischer Begrifflichkeit einher. Schmitt
unterscheidet die geschriebene Verfassung, das Verfassungsgesetz, von der
Verfassung; diese Unterscheidung sei für die Verfassungslehre „der
Ausgang jeder weiteren Erörterung.“11 Die Verfassung im
positiven Sinne – im Unterschied zum Verfassungsgesetz – bezieht sich auf die
besondere Existenzform der politischen Einheit. Sie enthält „die bewusste
Bestimmung der besonderen Gesamtgestalt für welche die politische Einheit sich
entscheidet.“12 Wie jedes Gesetz bedürfe auch das
Verfassungsgesetz einer ihm vorhergehenden politischen Entscheidung.13
Für sich genommen ist dies keine sonderlich neue und zudem eine ziemlich banale
Erkenntnis. Neu – und das Verfassungsgesetz radikal seiner normativen Kraft
beraubend – war aber die Verselbständigung und Entgegensetzung der durch die
verfassunggebende Gewalt getroffenen Entscheidung gegenüber dem
Verfassungsgesetz, obwohl
das Gesetz und nur dieses die politische Entscheidung ausdrückt und in
rechtliche Form bringt.14 Auch der getreueste
Gesetzespositivist weiß, dass dem Gesetz politische Entscheidungen zugrunde
liegen und berücksichtigt im Rahmen der subjektiven Auslegung die Motive und
Ziele des Gesetzgebers. Erkenntnisquelle für die grundlegende politische
Entscheidung ist jedoch, entgegen Schmitt, das Verfassungsgesetz. Schmitt aber
löst die politische Entscheidung von ihrem Produkt, dem Verfassungsgesetz, und
misst die eigentliche normative Kraft nicht dem Verfassungsgesetz, sondern der
Verfassung zu.
So kann er entgegen dem klaren Wortlaut der Weimarer Verfassung zu dem Ergebnis
kommen, die Verfassung könne nicht durch die im Verfassungsgesetz vorgesehenen
Mehrheiten geändert werden, sie sei unantastbar15 und somit
nur durch revolutionäre Gewalt aufzuheben.
Carl Schmitt kündigte den grundlegenden Kompromiss, der als politische
Entscheidung der Weimarer Verfassung zugrunde lag, auf. „Die große Alternative
bürgerliche oder sozialistische Gesellschaftsordnung ist scheinbar nur durch
einen Kompromiss erledigt.“16 In Wirklichkeit seien jedoch nur
einige Sozialreformen eingeführt oder als Programm aufgestellt worden. Weil aber
spezifisch politische Folgerungen aus den Prinzipien des Sozialismus nicht
gezogen worden seien, gälte: „Die fundamentale Entscheidung ist durchaus für den
bürgerlichen Rechtsstaat und die konstitutionelle Demokratie gefallen.“17
Und er führt aus: „Die Entscheidung musste für den bisherigen sozialen status
quo, d.h. für die Beibehaltung der bürgerlichen Gesellschaftsordnung fallen,
schon deshalb, weil die andere Entscheidung, eine konsequent durchgeführte
sozialistische Revolutionierung nach Art der Sowjetverfassung, auch von den
Sozialdemokraten ausdrücklich abgelehnt wurde.“18
Diese politische Einschätzung Schmitts ist vom politischen Standpunkt aus nicht
unrichtig; so ähnlich hatten es ja auch schon Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg
gesehen. Politisch betrachtet waren durch die nicht erfolgte Umgestaltung der
überkommenen Gesellschafts- und Privateigentumsordnung die Weichen für die
weitere politische und gesellschaftliche Entwicklung erst einmal gestellt –
daran konnten die schönsten in der Verfassung festgehaltenen sozialen Ziele und
Programme allein nichts ändern.19
Aber waren damit auch der gesellschaftliche status quo und der bürgerliche
Rechtsstaat verfassungsrechtlich unveränderbar festgeschrieben, so dass
gegebenenfalls diejenigen, die an eine sozialistische Umgestaltung der
Gesellschaft auch nur zu denken wagten, als Feinde der Verfassung und der
Freiheit und als „vaterlandslose Gesellen“ mit neuen „Sozialistengesetzen“
verfolgt werden
können? Wie illusionär auch immer die Hoffnung auf eine friedliche, durch
Parlamentsgesetz vorangetriebene Sozialisierung der Gesellschaft gewesen sein
mag - der Inhalt des politischen Kompromisses, der in der Verfassung seinen
Ausdruck fand, war: Dies Ziel kann verfassungsgemäß verfolgt werden.
Der Verfassungskompromiss und
seine Aufkündigung in der Bundesrepublik Deutschland
Die Lage nach dem zweiten von
Deutschland verlorenem Weltkrieg unterschied sich u.a. aufgrund der
bedingungslosen Kapitulation wesentlich von der nach dem ersten Weltkrieg. Vor
allem ist festzuhalten: Es hat nicht einmal ansatzweise eine aufständische oder
revolutionäre Bewegung gegeben, noch irgendeine Form der résistance, auch nicht
in der letzten Phase des Krieges, als dieser offenkundig verloren war. Dies wird
von der zeitgeschichtlichen Forschung nicht hinreichend thematisiert, obwohl die
weitere Entwicklung davon wesentlich mitbestimmt wurde. Die Soldaten kämpften
verbissen unter großen Verlusten und bis zum Schluss; die Rüstungsindustrie
arbeitete weiter; die Richter verurteilten noch in den Tagen vor der
Kapitulation – und manchmal sogar noch nach dieser – Deserteure, die Verwaltung
arbeitete effizient wie während der gesamten nationalsozialistischen Zeit; bis
zuletzt noch wurden Brücken gesprengt und Kinder als Flakhelfer und Großväter
als Volkssturmmänner in den verlorenen Krieg geschickt.
Die Neuordnung konnte nur von außen, von den Siegermächten, kommen und es war
niemand da, mit dem diese hätten verhandeln wollen oder können. Alles politische
oder öffentliche Handeln wurde von den Besatzungsmächten angeordnet oder
erlaubt; es wurde von ihnen genehmigt und konnte jederzeit von ihnen rückgängig
gemacht werden.20
Das galt auch von den ersten Verfassungen der wiedererrichteten Länder. Diese
Verfassungen enthielten zum Teil sehr umfangreiche sozialstaatliche
Bestimmungen. Besonders interessant ist der Art. 41 der hessischen Verfassung
vom 1.12.1946. Er enthält die sogenannte „Sofortsozialisierung“ der Betriebe des
Bergbaus, der Eisen- und Stahlerzeugung und der Energiewirtschaft sowie des
schienen- oder oberleitungsgebundenen Verkehrswesens. Mit dieser Vorschrift
wurde nicht lediglich ein Programm aufgestellt, ein Ziel vorgegebenen oder ein
verbindlicher Gesetzesauftrag erteilt, vielmehr wurde die „Überführung in
Gemeineigentum“ unmittelbar durch die Verfassung selbst vorgenommen.21
Die Entstehungsgeschichte dieses Artikels gibt auch wichtige Hinweise auf das
Verhältnis zwischen der amerikanischen Besatzungsmacht und den
wiederentstehenden deutschen öffentlichen Gewalten. Über den Art.41 musste
gesondert abgestimmt werden; er bedurfte einer Zweidrittel-Mehrheit. Diese wurde
sogar übertroffen, was ein deutlicher Hinweis auf den Willen breiter
Bevölkerungskreise war, die wirtschaftlichen Verhältnisse umzugestalten.22
Das Beispiel des Art.41 heVerf. zeigt, dass die westlichen Besatzungsmächte zu
dieser Zeit deutschen sozialstaatlichen Neuordnungsversuchen zwar grundsätzlich
ablehnend gegenüberstanden, dass sie aber die Neuordnung letztlich nicht
zwangsweise verhindern wollten. Das weitere klägliche Schicksal des Art. 41
erwies dann sehr bald, dass die Kräfte, die eine Veränderung der
Eigentumsverhältnisse anstrebten, sich nicht durchsetzten konnten gegen die
rasch erstarkenden restaurativen Tendenzen.
Nach dem Auseinanderbrechen der Antihitlerkoalition beschlossen die drei
westlichen Besatzungsmächte ihre Gebiete staatlich zu organisieren, nachdem
schon zuvor mit dem Marshallplan und der Währungsreform die separate
wirtschaftliche Entwicklung im Westen eingeleitet worden war.23
Zunächst zeigte sich, vor allem auf der Ebene der Ministerpräsidenten der
Länder, einiger Widerstand gegenüber der Gründung eines Staates, der
notwendigerweise die Abspaltung der westlichen Besatzungszonen von der
sowjetischen Zone bedeutete. So wurde denn eher ein Staatsfragment angestrebt
oder gar nur ein Organisationsstatut, und statt von einer Verfassung sprach man
lieber von einem Grundgesetz. Jedoch zeigte sich bald, dass für die maßgebenden
Kräfte das Ziel der Erlangung der – notwendigerweise noch eingeschränkten –
Souveränität vorrangig war.
So entstand letztlich doch eine Vollverfassung, die zwar den klassischen Katalog
der liberalen, bürgerlichen Freiheitsrechte enthielt, aber keine sozialen
Grundrechte, was zum Teil mit dem Festhalten am ursprünglichem
Provisoriumskonzept erklärt wird. Angesichts der sozialen Grundrechtskataloge in
den Länderverfassungen und der großen sozialen Probleme – Wohnungsnot,
Kriegsopfer- und Flüchtlingsversorgung, um nur einige zu nennen – ist dies
sicherlich nicht der einzige Grund für das Fehlen sozialer Grundrechte. Die SPD
befürchtete angesichts der Mehrheitsverhältnisse im parlamentarischen Rat ihre
Vorstellungen nicht durchsetzen zu können und hoffte, wie schon in der Weimarer
Republik, im zukünftigen Parlament durch einfaches Gesetz den Sozialstaat
gestalten zu können; deshalb wurde auf den Ausbau der Gesetzgebungskompetenzen
des Bundes besonderer Wert gelegt.24
Zwar können auch nach dem Grundgesetz Grund und Boden, Naturschätze und
Produktionsmittel zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum überführt
werden, Art.15 GG; zwar ist für jedermann und für alle Berufe das Recht
gewährleistet, Vereinigungen zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen zu bilden, Art.9 Abs.3 GG, ein Recht, das nach
allgemeiner Auffassung auch das Streikrecht dieser Vereinigungen umfasst; zwar
wurde die Gleichberechtigung der Frau verankert, Art. 3 Abs.3GG, zwar hat jede
Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft, Art.6 Abs.4
GG, zwar sind den unehelichen Kindern die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten zu
verschaffen wie den ehelichen, Art.6 Abs.5 GG, aber diese vereinzelten
sozialstaatlichen Normierungen, zu denen auch die ominöse
Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums gehört, bleiben weit hinter dem zurück,
was zuvor und gegenwärtig an sozialstaatlichen Rechten und Institutionen in
anderen Ländern und auf internationaler Ebene galt und gilt.
Dennoch bezeichnet das Grundgesetz die Bundesrepublik als „demokratischen und
sozialen Bundesstaat“, Art. 20 Abs.1, und verbietet eine Änderung dieser Norm
durch die sogenannte „Ewigkeitsgarantie“ des Artikel 79 Abs.3.
Bei der Auslegung des Sozialstaatspostulats bestand und besteht Einigkeit
darüber, damit werde ein „Minimum an sozialer Gerechtigkeit“25
gewährleistet, das jedem ein menschenwürdiges Dasein ermöglichen soll. Was
darunter im einzelnen zu verstehen ist, hängt ab von dem gesamten kulturellen,
wirtschaftlichen, gesundheitlichen etc. Niveau einer Gesellschaft und vor allem
von dem gesamtgesellschaftlichen Reichtum. Entscheidend ist, was als die normale
Existenzform ihrer Mitglieder angesehen wird und was als menschenunwürdige
Abweichung. So ist unzweifelhaft, dass in der BRD niemand, gleichgültig ob
Deutscher oder Nichtdeutscher, ohne Nahrung, Wohnung und
minimalmedizinische Versorgung gelassen werden darf. Aber was darüber hinaus als
sozial angemessen, richtig und gerecht anzusehen ist, lässt sich, welche
Interpretationsmethode auch immer man anwendet, aus dem kleinen Wort „sozial“
nicht erschließen.26 Inhaltlich wird also im Zusammenhang mit
Art.1 GG, der die Würde des Menschen für unantastbar erklärt, und dem
allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 GG durch das Sozialstaatsprinzip lediglich
ein soziales Minimum garantiert, und auch dies nicht als unmittelbar
einklagbares subjektives Recht, sondern als Rechtsgrundsatz, der eine
programmatische „Gestaltungsmaxime“ normiert.27 Bei der Frage
nach der sozialen Gerechtigkeit handelt es sich um eine politische Frage, um
eine Frage der politischen Philosophie und der Weltanschauung. Das betont
Abendroth ausdrücklich. „Zu diesen Problemen der politischen Philosophie
kritisch Stellung zu nehmen und deren jeweiligen Zusammenhang mit den realen und
politischen Kräften zu untersuchen, ist im Bereich der Wissenschaft (kursiv
W.A.) Aufgabe der Wissenschaft von der Politik und nicht Aufgabe der
Wissenschaft vom Verfassungsrecht.“28
Die praktisch-politische Umsetzung der jeweiligen sozialstaatlichen und
gesellschaftspolitischen Ziele sei Aufgabe der Parteien, aber auch der sozialen
Verbände, die in Art. 9 Abs.3 GG genannt werden. Vor allem also der
Gewerkschaften, denn „wenn die Vertretungen irgendwelcher Industriellengruppen
sich ohne Einschaltung der Öffentlichkeit um Stimmen im Bundestag oder um
Einflüsse in Ministerien bemühen, um irgendeine Privilegierung zu erreichen, so
liegt das augenscheinlich auf völlig anderer Ebene, als der öffentlich geführte
Vorstoß einer breit organisierten Massenorganisation zugunsten der Wahrnehmung
der Interessen von Millionen ihrer Mitglieder und derjenigen Nichtmitglieder,
die gleichwohl in diesem Verband ihre Repräsentanten erblicken.“29
Abendroths
Interpretation der Sozialstaatsklausel
In seinem vielzitierten, mehrfach veröffentlichten Beitrag zum Begriff des
demokratischen und sozialen Rechtsstaats, der die Sozialstaatsinterpretation der
Gewerkschaften und der Linken erheblich beeinflusste, hat Abendroth eindringlich
auf den Zusammenhang von Demokratiegebot und Sozialstaatsklausel hingewiesen.30
Um diese Verbindung des demokratischen mit dem sozialstaatlichen Gedanken geht
es zentral in Abendroths Aufsatz, und in immer neuen, einprägsamen, aber
inhaltlich identischen Formulierungen wird sie von ihm expliziert. Ein Zitat
mag für viele stehen: „Das entscheidende Moment des Gedankens der
Sozialstaatlichkeit im Zusammenhang des Rechtsgrundsatzes des Grundgesetzes
besteht also darin, dass der Glaube an die immanente Gerechtigkeit der
bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aufgehoben ist, und dass
deshalb die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung der Gestaltung durch
diejenigen Staatsorgane unterworfen wird, in denen sich die demokratische
(kursiv W.A.) Selbstbestimmung des Volkes repräsentiert.“31
Durch die Sozialstaatsklausel wird der Gesellschaft die verfassungsrechtliche
Möglichkeit eröffnet, „ihre eigenen Grundlagen umzuplanen“.32
Mit anderen Worten: Der Sozialismus kann verwirklicht werden und wer dafür
eintritt, verstößt nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und
darf nicht als angeblicher Verfassungsfeind verfolgt werden.
In der gesellschaftlichen Wirklichkeit war auch vor 50 Jahren der „Glaube“ an
die „immanente“ Gerechtigkeit der kapitalistischen Produktionsweise keineswegs
generell aufgehoben; das behauptet Abendroth selbstverständlich auch nicht.
Richtigerweise aber stellt er fest, dass dieser „Glaube“ verfassungsrechtlich
nicht geschützt sei.
Gegenwärtig erleben wir eine eifernde Reformulierung, Intensivierung und
missionarische Verbreitung des Glaubens an die Richtigkeit und Gerechtigkeit der
kapitalistischen Produktionsweise, an die Heiligkeit von Privateigentum, freiem
Wettbewerb und globalen Märkten. Mit Feuer und Schwert wird dieser Glaube
verbreitet, wie u. a. der völkerrechtswidrige Überfall auf den Irak zeigt; „der
Kreuzzug“ wie der Präsident der USA ihn nannte.
Um einen Glauben handelt es sich in der Tat, denn die „immanente Gerechtigkeit“
der bestehenden Wirtschaftsordnung zeigt sich empirisch u. a. in gesteigerter
Existenznot und Furcht vor Arbeitsplatzverlust bei großen Teilen der arbeitenden
Bevölkerung, in zunehmender Verarmung breiter Schichten bei gleichzeitiger
Reichtumsvermehrung bei Wenigen, in einem riesigen Arbeitslosenheer, in Hunger,
Krankheit und Verelendung in großen Teilen der Welt und sogar in den USA, diesem
wohl glaubensstärksten Land, sowie in Naturzerstörung und
Ressourcen-verschwendung. Aber die Hohen Priester dieses Glaubens auf den
Lehrkanzeln der Universitäten, in den Tagungsschlösschen der Akademien und
Stiftungen, auf den Marktplätzen der Medien und in
den Sälen der Parteien predigen unerschüttert das immergleiche
Glaubensbekenntnis: Abbau der Sozialleistungen, Flexibilisierung der
Arbeitsverhältnisse, Lohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerung, Abbau der
normativen Kraft der Tarifverträge, Konkurrenzprinzip allüberall, Privatisierung
der Staatsaufgaben, Abbau der Staatlichkeit insgesamt, Senkung der Steuern, vor
allem für die Vielverdienenden und Vielvermögenden, Globalisierung der Märkte,
insbesondere der Finanzmärkte – und so weiter und so immerfort.
In dieser Situation ist man gut beraten, wenn man sich der Interpretation der
grundgesetzlichen Sozialstaatsklausel von Abendroth erinnert. Als
Wissenschaftler, der sehr genau die Bewegungsgesetze und Entwicklungslinien der
kapitalistischen Gesellschaft erforscht hat, und als Sozialist, der für eine
alternative Gesellschaftsform eintrat, hatte er präzise politische
Vorstellungen, wie dieses Ziel zu begründen und zu erreichen sei. Aber diese
politischen Vorstellungen legte er nicht in die Sozialstaatsklausel hinein; er
behauptete nicht, was nach seiner Überzeugung politisch erforderlich sei, werde
auch grundgesetzlich geboten.33
Der Begriff des sozialen Staates und die Forderung nach seiner Verwirklichung
sind Teil der Geschichte und der Ideenwelt der Arbeiterbewegung. Darauf verweist
Abendroth und auf den Beitrag Hermann Hellers,34 der die
Rettung der Weimarer Republik und die Verhinderung der Diktatur nur für möglich
hielt, wenn der liberale Rechtsstaat sich in einen sozialen Staat umwandle.35
Auf Heller bezog sich das Mitglied des Parlamentarischen Rats, Carlo Schmid. So
konnte Abendroth den Inhalt des Sozialstaatspostulats als rechtliche
Zulässigkeit der Veränderung der Gesellschaft bestimmen.
Ist damit aber rechtlich – und dadurch vermittelt auch politisch – eigentlich
viel gewonnen, so kann man einwenden, weil doch auch ohne die Firmierung als
Sozialstaat der Staat als demokratischer diese Umwandlungsprozesse organisieren
kann, wenn die notwendigen Mehrheiten in den zuständigen gesetzgebenden Gremien
es wollen. Um diese Gestaltungsmöglichkeit geht es Abendroth. In einer
Demokratie sollte dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.
Herrschende Lehre:
Rechts- statt Sozialstaat
Die ganz herrschende Lehre sieht das
anders. Ihr geht es um den Rechtsstaat. Er ist ihr der eherne Garant der
bestehenden Wirtschafts- und Sozialordnung, mit dessen Hilfe die Abwehrkräfte
gegen umgestaltende Eingriffe organisiert werden können.
Auf der Staatsrechtslehrertagung 1953 hatte Ernst Forsthoff den Sozialstaat aus
dem Grundgesetz herauskatapultiert. Das „sozialstaatliche Bekenntnis“ des
Grundgesetzes berühre die „strukturelle Verfassungsform der Bundesrepublik“
nicht. Diese sei nach wie vor mit dem Begriff Rechtsstaat erschöpfend
bezeichnet. Rechtsstaat und Sozialstaat seien also „auf der Verfassungsebene
nicht verschmolzen“.36 Die Entscheidung für den Rechtsstaat
sei „primär und evident“.37 Sie basiere auf der Autonomie
einer vom Staat geschiedenen bürgerlichen Gesellschaft. Die rechtsstaatliche
Verfassung gewähre nicht, sie gewährleiste und sei deshalb „in hohem Maße an den
gesellschaftlichen status quo gebunden“,38 eine „Schutzburg
der beati possidentes“ solle er aber nicht sein.39 Daraus ist
zu schließen, dass es nach Forsthoff gilt, die bürgerliche, die kapitalistische
Gesellschaft zu schützen, nicht den einzelnen Kapitalisten. Verfassungsrechtlich
aber gibt es keinen Sozialstaat, sondern nur den Rechtsstaat.
Das sind die gleichen Thesen, die Carl Schmitt, aus dessen Umkreis Forsthoff
kam, für die Weimarer Republik aufgestellt hatte. Wie in Weimar wird auch für
die Bundesrepublik der Kompromiss aufgekündigt, der darin bestand, im Verzicht
auf die Einfügung sozialistischer Elemente in die Verfassungsordnung die
rechtliche Möglichkeit zu eröffnen, durch die Gesetzgebung die Entwicklung in
Richtung Sozialismus voranzutreiben. So deutlich die Gedankengänge Carl Schmitts
auch von Forsthoff rezipiert worden sind, eine Bezugnahme auf Schmitt fand nicht
statt. Das war auch in dieser Zeit nicht gerade opportun, denn Schmitt war wegen
seiner nationalsozialistischen Vergangenheit, seiner Rechtfertigung der Morde
beim sogenannten Röhmputsch sowie der Propagierung der Judenverfolgungen nicht
wieder in die Vereinigung der Staatsrechtslehrer aufgenommen worden. Erst nach
dem Ende der DDR und dem Tod Schmitts begann die noch andauernde umfassende
Beschäftigung mit Schmitt 40 und die breitere öffentliche
Wiederbelebung seiner Gedanken, die zuvor nur in kleinen, aber einflussreichen
Kreisen tradiert worden waren.
Mit der Behauptung der verfassungsrechtlichen Unvereinbarkeit von Rechtsstaat
und Sozialstaat sprach sich Forsthoff nicht gegen die soziale Ausgestaltung der
Lebensverhältnisse durch den Staat aus – vorausgesetzt aber, der Rahmen der
rechtsstaatlichen Gewährleistungen der kapitalistischen Wirtschaftordnung wird
beachtet. Als Verwaltungsrechtler hat sich Forsthoff eingehend mit den Problemen
der leistenden Verwaltung befasst; er hat früh den Begriff der „Daseinsvorsorge“
geprägt und die Änderungen der Staatstätigkeit von der Fürsorge zur allgemeinen
vorsorgenden Bereitstellung von Gütern und Leistungen analysiert. Der
Sozialstaat war für ihn insoweit bereits Realität und seine Bewahrung und
gegebenenfalls sein Ausbau wurde als legitime Aufgabe der Verwaltung und der
Gesetzgebung angesehen. „Unter sozialstaatlichem Aspekt betrachtet bieten somit
das Verfassungsrecht und das Verwaltungsrecht ein durchaus verschiedenes Bild.
Während sich die überkommene, rechtsstaatliche, gewaltenteilende Verfassung
gegenüber den Bestrebungen einer sozialstaatlichen Fortbildung im wesentlichen
abweisend zeigt, hat das Verwaltungsrecht einen seine gesamte Systematik
ergreifenden, in die Tiefe gehenden Prozess der Umbildung durchlaufen, als
dessen Ergebnis heute der Sozialstaat in einer zwar noch nicht abgeschlossenen,
aber doch weit fortgeschrittenen Formung vor sich steht.“41
Fünfzig Jahre später wird die sozialstaatliche Gegenreform unter Führung der SPD
und der Grünen mit Nachdruck betrieben und die selbst von Forsthoff anerkannte
staatliche Daseinsvorsorge soll ersetzt werden durch die private Lebensfürsorge,
die in vielen Fällen notwendigerweise zur Lebenssorge werden wird.42
Verfassungsrechtlich ist eine solcher Abbau des Sozialstaats, der
noch hinter die Bismarcksche Sozialgesetzgebung zurückzugehen gewillt ist,
schwer zu verhindern; es rächt sich nun, dass konkrete soziale Rechte und
Institute in das Grundgesetz nicht aufgenommen worden sind.
Abendroth hat den Thesen Forsthoffs in der Diskussion, die dem Vortrag folgte,
mit den Argumenten widersprochen, die er später in dem Sozialstaatsbeitrag näher
ausformuliert hat. Mit seinen Ausführungen ist er innerhalb der
Rechtswissenschaft isoliert geblieben; einflusslos war er deshalb nicht, vor
allem nicht in den Gewerkschaften und in den – kleinen – Kreisen, in denen noch
marxistisch und kritisch gedacht wurde.
Aber auch Forsthoff konnte sich mit seiner zentralen Behauptung der
Unvereinbarkeit von Rechtsstaat und Sozialstaat nicht durchsetzen. Die harten,
präzisen Entgegensetzungen Forsthoffs kann eine Verfassungsrechtswissenschaft
und Verfassungsrechtsprechung nicht direkt übernehmen,43 die
sich im Gewoge der Werte und ihrer gegenseitigen Abwägungen schaukelt, deren
Lieblingsvokabeln das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Übermaßverbot
44 sind, die Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit in
Spannungslagen versetzt, um diese dann lage-, aber nicht normgemäß aufzulösen,
und deren Ziel es ist, gegensätzliche Normierungen im Wege der Herstellung
„praktischer Konkordanz“ miteinander zu versöhnen.45
In der Sache aber gab es keinen Widerspruch zu Forsthoff. Als der Kern des
sozialen Rechtsstaats wurde in Übereinstimmung mit Forsthoff bezeichnet: Die
marktwirtschaftliche Ordnung und das Privateigentum, die freie Entfaltung der
Unternehmerpersönlichkeit, die wirtschaftlichen Freiheitsrechte als dem Staat
vorausliegende Rechte sowie die verfassungsrechtlich gebotene
Trennung von Staat und Gesellschaft,46 durch die der
privatrechtliche Bereich autonom gesetzt und dem umändernden Zugriff der
staatlichen Gesetzgebung entzogen wird.47 Der vor allem von H.
C. Nipperdey, dem Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts, vorgenommene Versuch,
die soziale Marktwirtschaft als die einzig verfassungsmäßig gebotene
Wirtschaftsform der Bundesrepublik zu
etablieren,48 fand allerdings keine Zustimmung. Auch das
Bundesverfassungsgericht betonte die Freiheit des Gesetzgebers zu Ausgestaltung
der Wirtschaftsordnung – unter Beachtung der Grundrechte allerdings und diese
werden so ausgelegt, dass sie die kapitalistischen Aneignungsverhältnisse
garantieren.49
In den Auseinandersetzungen um das „Wirtschaftsverfassungsrecht“ wurde die
Überwindung der Forsthoffschen Auffassung, wenn auch mit unterschiedlichen
Akzentuierungen 50, bekräftigt.51
Exemplarisch die Ausführungen von E. R. Huber, der es übrigens, 1965, in seinem
Aufsatz „Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen Industriegesellschaft“,
nicht für erforderlich hielt, auf
Abendroth auch nur hinzuweisen. Er führt zusammenfassend aus: „Der wahre
Sozialstaat setzt Rechtsstaatlichkeit, der wahre Rechtsstaat setzt
Sozialstaatlichkeit voraus.“ Es gehe um die „fruchtbare Wechselwirkung des
Gegensätzlichen“. Der Sozialstaat müsse sich in den Schranken des die Freiheit
gewährleistenden Rechtsstaats halten, der seinerseits die soziale Sicherheit des
Einzelnen zu garantieren habe.52
Ausbau, Umbau und auch der heutige Abbau des Sozialstaats konnte somit bei
erbaulichem verfassungsrechtlichen Sermon und unter Anschmiegung der
Verfassungsrechtsprechung und Verfassungslehre an die wechselnden politischen
Machtlagen stattfinden. Davon ist hier nicht weiter zu berichten und auch nicht
von mangelnder Bauleitplanung und fehlerhaften Bauzeichnungen, vom Pfusch am
Bau, von Korruption bei der Auftragsvergabe oder von einstürzenden Neubauten.53
Rechtliche
Befestigung der kapitalistischen Marktwirtschaft
Der verfassungsrechtliche Normenbestand selbst hat sich seit 1954 nicht
wesentlich verändert. Das Grundgesetz ist zwar über vierzig mal und teilweise
umfassend geändert worden. Neue soziale Rechte und Institute sind jedoch nicht
aufgenommen worden.
Ergebnis der kläglich verlaufenen Arbeit der Gemeinsamen Verfassungskommission
von Bundestag und Bundesrat 54 im Zusammenhang mit dem
Beitritt der neuen Bundesländer ist lediglich gewesen, dass niemand seiner
Behinderung wegen benachteiligt werden darf, Art.3 Abs.3 Satz2 GG, und dass
der Staat die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau
zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken habe, Art.3
Abs.2 GG.
Art.15 GG betreffend die Sozialisierung hat andererseits alle Änderungen
unbeschadet überstanden.
Die neuen Verfassungen der beigetretenen Bundesländer enthalten umfangreiche
Kataloge von sozialen Rechten. Bundesverfassungsrechtliche Bedeutung haben diese
nicht erlangt und auch nur höchst eingeschränkt landesrechtliche. Sie haben nur
geringe rechtliche Wirkungen, wie auch die sozialen Bestimmungen der
Verfassungen der alten Länder. Politisch bedeutungslos sind sie nicht, weil sie
anzeigen, was von der Mehrheit der Bevölkerung politisch gewollt wird; außerdem
enthalten sie Auslegungs- und Ermessensrichtlinien und formulieren politische
Programme und Ziele.
Wie auf der unterverfassungsrechtlichen Ebene der Länderverfassungen sind auch
oberhalb des Grundgesetzes, auf völkerrechtlicher Ebene zahlreiche
sozialrechtliche Normen, Programme und Proklamationen beschlossen worden.55
Die verfassungsrechtliche Lage in der BRD ist dadurch unmittelbar nicht geändert
worden.56 Die BRD ist andererseits Mitglied der EU und von
internationalen Institutionen wie z. B. dem IWF, der Weltbank, der GATT, die
sich sehr entschieden für die Herstellung kapitalistischer Marktwirtschaft, für
Privatisierungen und für freie Konkurrenz einsetzen sowie für den Rückzug des
Staates von wirtschaftlicher Betätigung.
Die marktwirtschaftliche Verfassung der BRD hat dadurch eine internationale
Absicherung und Befestigung erfahren.
Die entscheidende verfassungsrechtliche Änderung der wirtschaftlichen
Bestimmungen des Grundgesetzes wurde jedoch im Zuge des Vereinigungsprozesses
vorgenommen; sie wurde ohne die – notwendige, Art. 79 Abs.3 GG – Änderung des
Wortlauts der Verfassung und weitestgehend undiskutiert, gleichsam nebenbei
beschlossen.
Bereits im Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und
Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen
Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990, bestätigt von der Volkskammer durch
Gesetz vom 21. Juni 1990,57 wurde der gemeinsame Wille bekundet, „die Soziale
Marktwirtschaft als Grundlage für die weitere wirtschaftliche und soziale
Entwicklung mit sozialem Ausgleich und sozialer Absicherung und Verantwortung
gegenüber der Umwelt auch (! P.R.) in der Deutschen Demokratischen Republik
einzuführen.“ Art.1 Abs.3 normiert, die Soziale Marktwirtschaft sei für die
Wirtschaftsunion die gemeinsame Wirtschaftsordnung beider Vertragsparteien. „Sie
wird insbesondere bestimmt durch Privateigentum, Leistungswettbewerb, freie
Preisbildung und grundsätzlich volle Freizügigkeit von Arbeit, Kapital, Gütern
und Dienstleistungen.“ Die DDR verpflichtete sich in diesem Vertrag, die
Rahmenbedingungen zu schaffen „für die Entfaltung der Marktkräfte und der
Privatinitiative“ und die Unternehmensverfassung so zu gestalten, dass sie „auf
den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft mit der freien Entscheidung der
Unternehmen über Produkte, Mengen, Produktionsverfahren, Investitionen,
Arbeitsverhältnisse, Preise und Gewinnverwendung beruht“, Art.11 Abs.3. In
verbindlichen Leitsätzen wurde von den Vertragspartnern festgehalten, dass
wirtschaftliche Leistungen vorrangig privatwirtschaftlich und im Wettbewerb
erbracht werden.
Dieser Vertrag bezog sich auf verfassungsrechtliche Fragen; er war ein
Verfassungsvertrag, jedenfalls für die DDR, weil für sie die Übernahme von
Verfassungsnormen der BRD vereinbart wurde. Dieser Vertrag wurde ebenso wie der
Einigungsvertrag von den gesetzgebenden Gremien der BRD und der DDR mit den
Mehrheiten, die für ein verfassungsänderndes Gesetz erforderlich sind,
beschlossen.
Spätestens seit der Vereinigung ist also eine Auslegung des
Sozialstaatspostulats nicht mehr möglich, wonach es „der im demokratischen Staat
repräsentierten Gesellschaft“ die Möglichkeit zuweist, „ihre eigenen Grundlagen
umzuplanen“ und zwar, dies ist der springende Punkt, durch einfaches Gesetz.
Währungsunion und Beitrittsvertrag bekräftigten nur, was schon in den
Jahrzehnten zuvor durch unzählige Akte der gesetzgebenden, der exekutiven und
der rechtsprechenden, einschließlich der verfassungsrechtsprechenden, Gewalt
sowie durch die Verfassungsrechtswissenschaft tatsächlich und rechtlich
zementiert und ausgebaut worden ist: Die Realität und verfassungsrechtliche
Geltung der kapitalistischen Marktwirtschaft – mit sozialer Beigabe – als die
Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes.
Seit der abendrothschen Sozialstaatsinterpretation ist durch die gesamte
politische, gesellschaftliche und ideologische und rechtliche Entwicklung in der
BRD die kapitalistische Fundierung von Gesellschaft und Staat befestigt worden.
Dadurch ist die Sozialstaatsnorm nunmehr durch Gesetzgebung, Rechtsprechung und
Verwaltungspraxis authentisch interpretiert worden, so dass eine
Verfassungsänderung erforderlich ist, wenn die Wirtschaftsordnung mit
sozialistischer Zielsetzung umgestaltet werden soll.
Recht und
Wirklichkeit
Sein und Sollen, Rechtswirklichkeit und Rechtsnorm müssen allerdings exakt
unterschieden werden. Dies ist wichtig bei der Interpretation einer Rechtsnorm,
weil anderenfalls eine rechtmäßige von einer rechtswidrigen Wirklichkeit nicht
unterschieden werden kann und die Norm ihre Geltung und regulierende Funktion
einbüßt.
Aber Sein und Sollen stehen nicht beziehungslos gegeneinander. Auch ein so
entschiedener Positivist wie Hans Kelsen, der seine Rechtstheorie, die Reine
Rechtslehre, auf die Differenz von Sein und Sollen gründet, verneint die Geltung
des Rechts und auch einer einzelnen Rechtsnorm, wenn die Rechtordnung insgesamt
und auch die einzelne Rechtsnorm nicht zugleich „im großen
und ganzen“ Wirksamkeit entfalten.58 Das ist gewiss kein sehr
präziser Maßstab, aber festzuhalten ist, dass auch der Positivist anerkennen
muss, dass ab einer bestimmten Quantität an Unwirksamkeit eine neue Qualität
entsteht, Geltung in Nichtgeltung umschlägt.
Für eine materialistische, marxistische Analyse des Rechts wird der Zusammenhang
von Recht und Wirklichkeit als der von Basis und Überbau entschlüsselt.59
Wenn sich über einen relativ langen Zeitraum von fünfzig Jahren hinweg die
kapitalistischen Aneignungs- und Produktionsverhältnisse entfalten und festigen
können, ist es alles andere als erstaunlich, dass auch im Recht deren Schutz
erfolgreich organisiert wird.
Als Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die von Abendroth festgestellte
Offenheit der Wirtschaftsverfassung für das alternative Modell des Sozialismus
nicht mehr besteht. Der Kompromiss, der formuliert worden war von „in ihrer
Tendenz nicht übereinstimmenden politischen und gesellschaftlichen Kräften“ und
auf dem der Rechtsgrundsatz des demokratischen und sozialen Rechtsstaats
beruhte, wurde im Lauf der letzten fünfzig Jahre endgültig und mit
verfassungskräftiger Wirkung aufgekündigt.
Der spätestens mit dem Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion
bestätigte Sieg der Lehre von der verfassungsrechtlichen Verankerung der
sozialen Marktwirtschaft – sie wird heute auch, noch weniger präzis, als
„Rheinischer Kapitalismus“ bezeichnet – bietet juristisch argumentativ auch
gewisse Chancen.
Die soziale Marktwirtschaft wird seit längerem und seit dem Beginn der
Regierungen Schröder beschleunigt in eine höchst unsoziale Marktwirtschaft
umgeformt. Es wäre deshalb durchaus sinnvoll, die gegenwärtige
Gegenreformgesetzgebung auf ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit mit der
„sozialen Marktwirtschaft“ zu überprüfen.
Insbesondere die Bürgerinnen und Bürger der damaligen DDR können sich darauf
berufen, dass sie die sozialistischen Eigentumsnormen ihrer Verfassung nicht für
eine neoliberale, sondern für eine soziale Marktwirtschaft aufgegeben haben. In
der Denkschrift zu dem Vertrag heißt es: „Die Menschen in der Deutschen
Demokratischen Republik sollen teilhaben können an den Chancen einer
freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die durch die
Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland ihre überragende
Leistungsfähigkeit auch für den sozialen Ausgleich bewiesen hat.“ Zu untersuchen
wäre, ob nicht die staatsvertragliche Pflicht besteht, alles zu unterlassen, was
den bei Vertragsabschluß vorhandenen „sozialen Ausgleich“ mindert.
Dieser Fragen- und Problemkomplex soll hier nicht weiter erörtert werden, denn
Wolfgang Abendroth befasste sich in diesem Beitrag nicht schwerpunktmäßig mit
dem sozialen Ausgleich, sondern mit der Möglichkeit der grundlegenden
gesellschaftlichen Umgestaltung; deren rechtliche Zulässigkeit war Gegenstand
seines Beitrags.
Demokratie als
Fundamentalnorm
Der Argumentation Abendroths, dass der demokratische und soziale Rechtsstaat der
„im Staat repräsentierten Gesellschaft die Möglichkeit zuweist“, ihre eigenen
Grundlagen, auch die ihrer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, umzuplanen
60, kommt weiterhin grundlegende Bedeutung zu. Vor allem, weil
die Gefahr besteht, dass selbst – nunmehr notwendige – Verfassungsänderungen,
die eine Aufhebung oder fundamentale Umänderung der Marktwirtschaft
zum Ziel haben, wiederum als verfassungswidrig angesehen werden.
Die wirtschaftlichen Freiheitsrechte, vor allem das Eigentum 61,
werden von der ganz herrschenden Lehre zu dem unabänderlichen Kernbestand des
grundgesetzlichen Rechtsstaats gerechnet. Geld ist dann in der Tat „geprägte
Freiheit.“ Sind die Eigentumsrechte und die anderen mit ihnen verbundenen
wirtschaftlichen Grundrechte durch die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes
geschützt, dann ist der soziale Staat, der für den Sozialisten nur durch eine
sozialistische Gesellschaft verwirklicht werden kann,62 auf
der Verfassungsebene nicht mit dem so definierten Rechtsstaat zu vereinbaren.
Der Sozialismus kann nach dieser Lehre nur durch eine neue revolutionäre
Verfassung verfassungsrechtlich verankert werden, durch eine neue grundlegende,
existentielle politische Entscheidung über Form und Art des Ganzen der
politischen Einheit im Sinne von Carl Schmitt.63
Auch wenn die soziale Marktwirtschaft als die verfassungsmäßig gebotene
Wirtschaftsordnung der BRD angesehen wird, die durch einfaches Gesetz nicht
geändert werden kann, lässt sich daraus keinesfalls schließen, auch der
Verfassungsgesetzgeber sei ewig an diese wirtschaftliche Ordnung gebunden. Art.
79 Abs.3 GG gebietet nicht nur den immerwährenden Schutz der sozialen Prägung
des Staates und die Garantie eines bestimmten, sozialen Minimums, sodass ein
Leben in Würde für jeden und jede möglich ist. Der Staat muss darüber hinaus
rechtlich unveränderbar zugleich ein demokratischer Staat sein. Dies aber
bedeutet, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber mit den in der Verfassung
vorgesehenen Mehrheiten die Wirtschaftsordnung frei bestimmen kann. Er kann
durch Verfassungsänderung somit auch eine Ordnung einführen, die sozialistische
Elemente enthält. Die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung ist Objekt der
demokratischen Selbstbestimmung des Volkes. Auf diese grundlegende Bedeutung der
Demokratie als Fundamentalnorm der BRD hat Abendroth immer wieder hingewiesen.64
Die Ausführungen Abendroths zum Verhältnis von Demokratie, Gleichheitssatz und
sozialer Selbstbestimmung bilden den argumentativen Kern seines
Sozialstaatsbeitrags; sie behalten ihren Wert und ihre Richtigkeit auch, wenn
sie unmittelbar auf das demokratische Prinzip gestützt werden und unabhängig
davon, dass die Sozialstaatsklausel inzwischen auf eine fürsorgende
Minimalversorgung zurechtgestutzt worden ist; ein Prozess, der noch keineswegs
beendet ist.
Das rechtsstaatliche Prinzip ist mit dem demokratischen eng verbunden und ihm
nicht entgegengesetzt. Ohne die rechtsstaatliche Sicherung der Grundrechte kann
die Demokratie nicht begründet und effektiv ausgestaltet werden. Ohne die
Möglichkeit des einzelnen, seine Persönlichkeit frei zu entfalten, sich seine
Meinung frei zu bilden und sie frei zu äußern, ohne die Freiheit des Gewissens,
der Weltanschauung und der Religion, ohne die Wissenschafts- und Berufsfreiheit
ist eine demokratische Selbstbestimmung nicht denkbar. Demokratie ist aber sehr
wohl ohne Privateigentum, Markt, Wettbewerb möglich; ob nicht sogar nur in einer
nicht kapitalistischen Gesellschaft: darüber hat der verfassungsändernde
Gesetzgeber zu entscheiden.65
Ein Staat kann nicht als demokratisch angesehen werden, der diese für die
gesamte gesellschaftliche Organisation und für das konkrete Leben jedes
Einzelnen alles bestimmende Entscheidung über die Eigentumsordnung der
demokratischen Selbstbestimmung des Volkes entzieht und durch seine Verfassung
eine Ewigkeitsgarantie für die kapitalistischen Aneignungs- und
Austauschverhältnisse statuiert. Deshalb gilt, was Wolfgang Abendroth 1981
fordert, verstärkt 2003: „Denn die aktuelle Aufgabe in der Bundesrepublik ist
noch lange nicht die Verwirklichung des Sozialismus, sondern vorerst die
Verteidigung der Demokratie und der sozialen Lage der Arbeiterklasse.“66
1
K. Marx, Das Kapital, MEW 23, S.200 ff., 208, 209.
2
Vgl. zu den Folgen des globalen Existenzkampfs: P. Römer, Globale
Gesellschaft, Privateigentum und Staat, Topos H. 21, Menschenrecht, 2003, S.115
ff.
3
B. Brecht, Die Dreigroschenoper, Stücke, Bd.3, 1955, S.61.
4
Vgl. P. Römer, Eigentum: Grundlage für das Verständnis von Staat
und Recht, in: Recht und
Gerechtigkeit, Beiträge zur Rechtsphilosophie. FS G. Haney, 1991, S.174 ff.;
ders., Entstehung, Rechtsform und Funktion des kapitalistischen Privateigentums,
1978; ders., Funktions-
oder Formwandel des Eigentums? DuR 1/1973, S.48ff.; ders., Die Kritik Hans
Kelsens an der
juristischen Eigentumsideologie, in: Rechtstheorie Beiheft 4, Ideologiekritik
und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, Hrsg. W. Krawietz, E. Topitsch, P. Koller, 1982, S.87
ff.
5
A. Rosenberg, Geschichte der Weimarer Republik, 1961, S.51.
6
Vgl. W. Abendroth, Sozialgeschichte der europäischen
Arbeiterbewegung, 1977, S.87 ff.; A.
Rosenberg, a. a. O., S.27 ff.; E.-W. Böckenförde, Der Zusammenbruch der
Monarchie und die
Entstehung der Weimarer Republik, in: K. D. Bracher, M. Funke, H.-J. Jacobsen,
Hrsg., Die
Weimarer Republik 1918-1933, 1987, S. 17 ff.; M. Schneider,
Historisch-gesellschaftliche
Rahmenbedingungen der Krise von Weimar. Zu Verfassungsauftrag und -wirklichkeit
der ersten deutschen Republik, in: W. Luthardt, A. Söllner, Hrsg., Verfassungsstaat,
Souveränität,
Pluralismus, FS O. Kirchheimer, 1989, S.27 ff.
7
Vgl. W. Otter, Die sozialen Bestimmungen in den Grundrechten und
Grundpflichten der Deutschen, Diss. Göttingen 1928.
8
Zum Eigentumsschutz im Kaiserreich und in der Weimarer Republik
vgl. H. Rittstieg, Eigentum als Verfassungsproblem, 1975, S.249 ff.
9
Zu den Versuchen, die wirtschaftlichen Grundrechte dem Zugriff
des parlamentarischen Gesetzgebers zu entziehen, vgl. den - diesen Versuchen nachträglich zustimmenden –
Beitrag von
Chr. Gusy, Die Grundrechte in der Weimarer Republik, ZNR 15/1993, S.163 ff.
10
Ausgangspunkt dieser neuen verfassungsrechtlichen Lehre war der
Beitrag des Zivilrechtlers
Martin Wolffs, Reichsverfassung und Eigentum, 1923 in der Festschrift für H.
Kahl erschienen.
11
C. Schmitt, Verfassungslehre, 1928, Neudruck 1957, S.21.
12
C. Schmitt, ebenda.
13
C. Schmitt, a. a. O., S.22.
14
Vgl. P. Römer, Übervater Schmitt – Hüter der Demokratie?, in:
querela juris, Gedächtnisschrift für E. Rabofsky, Hrsg. J. J. Hagen,, W. Maßl, A. J. Noll, G. Oberkofler,
1996, S.259 ff.
15
C. Schmitt, a. a. O., S.26.
16
C. Schmitt a. a. O., S.30.
17
C. Schmitt, ebenda.
18
C. Schmitt a. a. O., S.31.
19
VVgl. H. Potthoff, Das Weimarer Verfassungswerk und die deutsche
Linke, Archiv f. Sozialgeschichte, Bd. XII, 1972, S.433 ff.
20
Vgl. P. Römer, Im Namen des Grundgesetzes. Eine Streitschrift für
die Demokratie, 1989,
S.9 ff.
21
Art.41 heVerf.
22
Vgl. G. Winter, Sozialisierung und Mitbestimmung in Hessen
1946-1955, in: ders., Hrsg., Sozialisierung von Unternehmen. Bedingungen und
Begründungen, 1976, S.119 ff.
23
WVgl. E.-U. Huster u.a., Determinanten der westdeutschen
Restauration 1945-1949, 1972; R. Billstein, Neubeginn ohne Neuordnung. Dokumente
und Materialien zur politischen Weichenstellung
in den Westzonen nach 1945, 1984; F. Schneider, Der Weg der Bundesrepublik. Von
1945 bis
zur Gegenwart, 1985; Die Bundesrepublik Deutschland. Entstehung – Entwicklung –
Struktur,
Hrsg., W.-D. Narr, D. Thränhardt, 1979; R. Morsey, Die Bundesrepublik
Deutschland. Entstehung und Entwicklung bis 1969, 1987; W. Benz, Von der
Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik. Stationen einer Staatsgründung
1946-1949, 1984; Zum deutschen Neuanfang 1945 - 1949.
Tatsachen – Probleme – Ergebnisse – Irrwege. Schriftenreihe der
Marx-Engels-Stiftung 19, 1993.
24
Vgl. V. Schockenhoff, Wirtschaftsverfassung und Grundgesetz. Die
Auseinandersetzungen in
den Verfassungsberatungen 1945 – 1949, 1986.
25
W. Abendroth, Zum Begriff des demokratischen und sozialen
Rechtsstaates im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, FS Ludwig
Bergsträsser, 1954; hier zitiert nach: E. Forsthoff, Hrsg., Rechtsstaatlichkeit
und Sozialstaatlichkeit. Aufsätze und Essays, 1968, S.114 ff.
26
Vgl. K-J. Bieback, Inhalt und Funktion des Sozialstaatsprinzips,
Jura 5/1987, S.229 ff.
27
W. Abendroth, a. a. O., S.117.
28
W. Abendroth, a. a. O., S.142; es kann deshalb D. Schefold nicht
gefolgt werden, wenn er behauptet, Abendroths lnterpretation des sozialen
Rechtsstaats als Verfassungsprinzip bedeute,
dass dies Prinzip „normative Grundlage für Ansprüche auf Veränderungen“ sei;
vgl. D. Schefold, Gesellschaftliche und staatliche Demokratietheorie.
Bemerkungen zu Hermann Heller, in:
Chr. Gusy, Hrsg., Demokratisches Denken in der Weimarer Republik, 2000, S.256
ff., S.282.
29
W. Abendroth, Zur Funktion der Gewerkschaften in der
westdeutschen Demokratie, in: ders., Arbeiterklasse, Staat und Verfassung.
Materialien zur Verfassungsgeschichte und Verfassungstheorie der Bundesrepublik,
Hrsg., J. Perels, 1975, S.33 ff., S.41.
30
Vgl. zu den Fundstellen: F.-M. Balzer, H. M. Bock, U. Schöler,
Werkbibliographie. Gesamtverzeichnis der Schriften Wolfgang Abendroths, in
dieselben, Hrsg., Wolfgang Abendroth.
Wissenschaftlicher Politiker. Bibliographische Beiträge, 2001, S.345 ff., S.355
Ziffern 102a-102e.
31
W. Abendroth, a. a. O., S.119.
32
W. Abendroth, a. a. O., S.127.
33
Es ist Kittner nicht zuzustimmen, wenn er unter Berufung auf
Wolfgang Abendroth feststellt „der Anspruch des GG eine‚freiheitliche
demokratische Grundordnung’ zu konstituieren, wird mit dem SP (= dem
Sozialstaatsprinzip) zu einem umfassenden Programm der Demokratisierung von
Wirtschaft und Gesellschaft“, Sozialstaatsprinzip, in: Alternativkommentar zum
Grundgesetz, Bd.1, 1984, RZ37, S.1361; Abendroth hat kein Programm in den Art.20
Abs.1 hinein phantasiert, sondern die rechtliche Möglichkeit betont, solch ein
Programm zu entwickeln und demokratisch umzusetzen. Zu diesen alternativen
Auslegungen vgl. auch: A. Krölls, Das Grundgesetz als Verfassung des staatlich
organisierten Kapitalismus, 1988, S.384 ff.; M. Kutscha, Vom zeitgemäßen
Sozialstaatsverständnis, KJ 4/82, S.383 ff., insbes. S.391 ff.
34
Roland Meister, Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes,
Blätter für deutsche und internationale Politik 5/97, S.608 ff, hier: S.610,
weist darauf hin, dass Julius Ofner, der österreichische Nationalökonom, 1894
den Begriff geprägt habe.
35
Zu Heller vgl. W. Abendroth, Die Funktion des
Politikwissenschaftlers und Staatsrechtslehrers Hermann Heller in der Weimarer
Republik und in der Bundesrepublik Deutschland, In: Staatslehre in der Weimarer
Republik. Hermann Heller zu ehren, Hrsg. Chr. Müller, I. Staff, 1985, 43 ff.; I.
Staff, Der soziale Rechtsstaat. Zur Aktualität der Staatstheorie Hermann
Hellers, in: I. Staff, Chr. Müller, Hrsg., Der soziale Rechtsstaat,
Gedächtnisschrift für Hermann Heller 1891-1933, 1984, S. 26 ff.
36
E. Forsthoff, Begriff und Wesen des sozialen Rechtsstaates, in:
ders., Rechtsstaatlichkeit und
Sozialstaatlichkeit, 1968, S.191, 192.
37
E. Forsthoff, a. a. O., S.173.
38
E. Forsthoff, ebenda.
39
E. Forsthoff, a. a. O., S.197.
40
Vgl. P. Römer, Tod und Verklärung des Carl Schmitt, Archiv f.
Rechts- und Sozialphilosophie, Vol.1990, LXXVI/H.3, S.373 ff.
41
E. Forsthoff, a. a. O., S.172.
42
S. dazu neuestens: Chr. Christen, Sozialstaat in der
Globalisierungsfalle? Über vermeintlich
ökonomische Sachzwänge, Forum Wissenschaft, 1/2004, S.16 ff.; Chr. Görg,
Globalisierung und Transformation des Nationalstaats. Voraussetzungen für eine
wirkungsvolle Gegenwehr, ebenda,
S. 21 ff.
43
Kritisch zu dieser Lehre und insoweit die These Forsthoff von der
verfassungsrechtlichen
Nichtigkeit der Sozialstaatsklausel übernehmend: H. Ridder, Nachwort zu O. E.
Kempen,
Hrsg., Sozialstaatsprinzip und Wirtschaftsordnung, 1976, S.235 ff., S.243.
44
H. Heller, Rechtsstaat oder Dikatur, in: O. E. Kempen, a. a. O.,
S.55 ff.
45
Vgl. dazu kritisch P. Römer, Kleine Bitte um ein wenig
Positivismus. Thesen zur neueren Methodendiskussion, in: ders., Hrsg., Der Kampf
um das Grundgesetz. Über die politische Bedeutung der Verfassungsinterpretation.
Referate und Diskussionen eines Kolloquiums aus Anlaß des 70. Geburtstages von
Wolfgang Abendroth, 1977, S.87 ff.; ders., Kritik bürgerlicher Wertauffassungen
des Rechts, in: Grundwertediskussion. Der Streit um die geistigen Grundlagen der
Demokratie, Hrsg. K. Bayertz, H .H. Holz, 1978, S.160 ff.
46
H. F. Zacher, Das soziale Staatsziel, in: Handbuch des
Staatsrechts, Hrsg. J. Isensee, P. Kirchhof, Bd. 1, 1987, S.1045 ff., S.1060
„Die wichtigste Prämisse des ‚Sozialen’ aber ist: das Gegenüber von Staat und
Gesellschaft bleibt aufrechterhalten; der Staat hat kein Monopol auf das
‚Soziale’ und keinen Titel, die Gesellschaft aufzuheben, um ihren ‚sozialen’
Charakter zu garantieren.“ Vgl. dazu kritisch: H. Ridder, Die soziale Ordnung
des Grundgesetzes. Leitfaden
zu den Grundrechten einer demokratischen Verfassung, Opladen, 1975, S.35 ff.; M.
Kutscha,
Vom zeitgemäßen Sozialstaatsverständnis, KJ 4/82, S. 384 ff.
47
E.-W. Böckenförde, Hrsg., Staat und Gesellschaft, 1976.
48
H. C. Nipperdey, Soziale Marktwirtschaft und Grundgesetz, 3.
Aufl. 1965; ders., Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: K.A. Bettermann, H.
C. Nipperdey, Hrsg., Die Grundrechte, Bd. IV,2, 1962, S.769 ff.
49
BVerfGE 4, S.77ff., S.17, 18.
50
Eingehend dazu und mit ausführlichen Hinweisen auf das ältere
Schrifttum: H.-J. Papier,
Grundgesetz und Wirtschaftsordnung, in: Handbuch des Verfassungsrechts der
Bundesrepublik Deutschland, Hrsg., E. Benda, W. Maihofer, H.-J. Vogel, Bd.1,
1984, S.610 ff. Mit der ganz herrschenden Lehre und der Rechtsprechung, die er
als Verfassungsrichter nunmehr selbst mitgestalten kann, betont er, a. a. O.,
S.611: „Die Enthaltsamkeit des Grundgesetzes in Fragen eines staatlichen
Gestaltungsauftrags zur Wirtschaftsverfassung kann keinesfalls in eine
reduzierte (kursiv von H.-J. Papier) Garantiewirkung der Freiheitsrechte
umgedeutet werden.“ Sowie S.615: „Die Eigentumsgarantie und die anderen
Grundrechte des privatautonomen Handelns und der privatautonomen Teilhabe an der
Wirtschaftsgestaltung schließen eine potentiell absolute Herrschaft des
politischen Systems (auch) über die Wirtschaft aus.“
51
Vgl.: U. Karpen, Wirtschaftsordnung und Grundgesetz, Jura 4/1985,
S.188 ff., E. R. Huber, Der Streit um das Wirtschaftsverfassungsrecht, DÖV H. 4,
S.98 ff., H. 5, S.135 ff, H. 6, S.172 ff., H.7, S.200 ff.; J. Gotthold,
Wirtschaftliche Entwicklung und Verfassungsrecht, 1975; P. Badura,
Wirtschaftverfassung und Wirtschaftsverwaltung. Ein exemplarischer Leitfaden,
1971; N. Reich, Markt und Recht, Theorie und Praxis des Wirtschaftsrechts in der
Bundesrepublik Deutschland, 1977, S.74 ff.; eine Dokumentenauswahl bietet: H.
Kremendahl, Th. Meyer, Hrsg. Sozialismus und Grundgesetz, 1974.
52
E. R. Huber, Rechtsstaat und Sozialstaat in der modernen
Industriegesellschaft, in: E. Forsthoff, Hrsg., Rechtsstaatlichkeit, a. a. O.,
S. 588 ff., S.618.
53
Vgl. zur Entwicklung des Sozialstaats: J. Albers, Der Sozialstaat
in der Bundesrepublik 1950-1983, 1989; Chr. Niess-Mache, J. Schwammborn, Hrsg.,
Demontage des Sozialstaats. Verfassungsrechtliche Grenzen staatlicher
Sparpolitik, 1986; M. Kutscha, Herrschaft des Marktes –
Abschied vom Sozialstaatsprinzip? Politik, Verfassung und „schlanker Staat“, Z
29/1997, S.43
ff.; Chr. Butterwegge, Wohlfahrtsstaat im Wandel. Probleme und Perspektiven der
Sozialpolitik, 3. Aufl., 2001.
54
Vgl. P. Römer, Chancen der Verfassunggebung oder Gefahr für die
Souveränität des Volkes?
Der Stand der Arbeit an der Verfassungsgesetzgebung, DuR 2/1992, S.160 ff.;
ders., Die demokratischen Kosten der Einheit, in: Verfassung statt Grundgesetz.
Zur Diskussion über eine
neue Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, 1991, S.113 ff.; M. Kloepfer,
Verfassungsänderung statt Verfassungsreform. Zur Arbeit der Gemeinsamen
Verfassungskommission, 1995; H.-L. Batt, Die Grundgesetzreform nach der
deutschen Einheit. Akteure, politischer Prozeß und Ergebnisse, 1996.
55
Vgl. M.E. Butt, J. Kübert, Chr. A. Schultz, Autorenkollektiv,
Soziale Grundrechte in Europa,
Arbeitsdokument. Europäisches Parlament, Reihe Soziale Angelegenheiten, SOCI 104
DE, 2-2000 mit der ernüchternden Feststellung, S.41: „Es ist allerdings nicht
möglich, eine Beziehung zwischen dem Vorhandensein sozialer Grundrechte in der
Verfassung und der sozialen Wirklichkeit in den Staaten herzustellen.“ Vgl. auch
R. Meister, a. a. O., S.618: „Auf der Bühne, auf der die europäische Vereinigung
eingeübt wird, kommt die Sozialcharta kaum vor.“
56
Vgl. G. Schirmer, Völkerrecht und Durchsetzung der
Menschenrechte, in: Topos H. 21, 2003,
Menschenrecht, S.55 ff., K.-J. Bieback, Sozialstaatsprinzip und Grundrechte,
EuGRZ 22/1985,
S.657 ff.; generell zu den sozialen Grundrechten: N. Dimmel, Soziale Grundrechte
als Instrument gesellschaftlicher Integration, in: N. Dimmel, A.-J. Noll, Hrsg.,
Verfassung. Juristisch-politische und sozialwissenschaftliche Beiträge
anlässlich des 70-Jahr-Jubiläums des Bundesverfassungsgesetzes, 1990, S.159 ff.;
E.-W. Böckenförde, J. Jekewitz, Th. Ramm, Hrsg., Soziale Grundrechte, 1981; H.
Steininger, Soziale Menschenrechte – wie wichtig sind sie?, Marx.Bl. 1/01, S.40
ff.
57
Abgedruckt in K. Stern, B. Schmidt-Bleibtreu, Staatsvertrag zur
Währungs-, Wirtschafts- und
Sozialunion, 1990.
58
H. Kelsen, Reine Rechtslehre, mit einem Anhang. Das Problem der
Gerechtigkeit, 2. Aufl., 1960, S.218, 219.
59
K. Marx, Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort, MEW 19,
S.8, 9.
60
W. Abendroth, Zum Begriff, a. a. O., S.115; O. Kimminich,
Eigentum und Freiheit, in: Hrsg., M. Abelein, O. Kimminich, FS H. Raschhofer,
1977, S.105 ff.; G. Dürig, Das Eigentum als
Menschenrecht, ZStW Bd. 109, 1953, S.326 ff.; W. Leisner, Freiheit und Eigentum
– die selbständige Bedeutung des Eigentums gegenüber der Freiheit, in: K.
Carstens, H. Peters, Hrsg.,
FS H. Jahrreiß, 1974, S.135 ff.
61
BGHZ 6, S.276 „Der in den Staat eingegliederte einzelne bedarf,
um unter seinesgleichen als
Person, d.h. frei und selbstverantwortlich leben zu können, und um nicht zum
bloßen Objekt
einer übermächtigen Staatsgewalt zu werden, also um seiner Freiheit und Würde
willen, einer
rechtlich streng gesicherten Sphäre des Eigentums.“
62
Vgl. H. H. Holz, Sozialismus statt Barbarei. Ein Beitrag zur
Zukunftsdebatte, 1999; ders., Niederlage und Zukunft des Sozialismus, 1991.
63
C. Schmitt, Verfassungslehre, a. a. O., S.21.
64
P. Römer, Recht und Demokratie bei Wolfgang Abendroth, 1986.
65
Vgl. in diesem Punkt immer noch grundlegend: H. Kelsen, Vom Wesen
und Wert der Demokratie, Neudruck der 2. umgearbeiteten Auflage von 1929, 1963;
ders., Foundations of Democracy, Ethics, Vol. LXVI, Oct.1955, Nr.1, Part.II, S.1
ff.; P. Römer, Die Demokratietheorie
Hans Kelsens und das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, in: Chr.
Brünner, W. Mantel, A. J. Noll, W. Pleschberger, Kultur der Demokratie, FS. M.
Welan, 2002, S.271 ff.
66
W. Abendroth, 11 Thesen zur politischen Funktion und zur
Perspektive des Kampfes für die
Erhaltung des demokratischen Verfassungsrechts in der Bundesrepublik
Deutschland, in: D.
Deiseroth, F. Hase, K.- H. Ladeur, Hrsg., Ordnungsmacht? Über das Verhältnis von
Legalität,
Konsens und Herrschaft, 1981, S.335 ff., S.353.
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