Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung
  <<Zurück
   

Heft 53, März 2003, 14. Jhrg
Jan Engelhardt

„Her mit dem schönen Leben!“
 
(Politische) Schwerpunkte der IG Metall-Jugendarbeit

Glaubt man neoliberalen Leitartiklern, ist die Sache klar: Gewerkschaften und Jugend - ein unversöhnlicher Gegensatz. Den immergleichen Mantras vom "sterbenden Dinosaurier" zum Trotz sind auch 2003 weit über 500.000 Jugendliche unter 271 Jahren Gewerkschaftsmitglied, ca. 220.000 davon alleine in der IG Metall.2 In den vergangenen Jahren hat sich die Gewerkschaftsjugend wie kein anderer Jugendverband in politische Auseinandersetzungen eingemischt. Durch eine gleichzeitige Modernisierung der internen Strukturen, eine offensive Tarifpolitik, eine systematische wissenschaftliche Untersuchung der eigenen Klientel und eine nachhaltige Personal-entwicklungspolitik bei hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären ist es gelungen, den Mitgliederschwund der 90er Jahre zu stoppen und die Neuaufnahmezahlen gerade bei jungen Beschäftigten wieder deutlich zu steigern.

Die von der IG Metall bei der Universität Tübingen in Auftrag gegebene repräsentative Untersuchung über "Handlungs- und Orientierungsformen junger Arbeitnehmer/innen"3 hat auch insofern interessante Ergebnisse zutage gebracht, als offensichtlich bei vielen Jugendlichen ganz andere Einstellungen vorhanden sind, als sie in der von Autoren wie Ulrich Beck dominierten medialen Diskussion über "Jugend" immergleich wiedergegeben werden.4 Neben einer ausführlichen Vorstellung der Jugendstudie wird in dem folgenden Artikel auf diese Debatte ebenso eingegangen wie auf die politischen Schwerpunkte der IG Metall-Jugend.

1. Die IG Metall-Jugendstudie

Zwischen 1999 und 2001 führte die IG Metall zusammen mit der Universität Tübingen ein Jugendforschungsprojekt durch, das neue Orientierungen und Engagementformen bei jugendlichen Arbeitnehmer/innen und ihre Bedeutung für die Jugendarbeit untersucht. Dafür wurden 1042 Jugendliche aus Industrie und Handwerk in ganz Deutschland repräsentativ befragt. In die Auswertung wurden 50 Einzel- und Gruppeninterviews einbezogen. Ferner haben sie verschiedene Aktionen und Veranstaltungen der IG Metall beobachtet und analysiert. Im Zusammenhang mit den Ergebnissen der Jugendstudie wurden 2002 zwei Bücher veröffentlicht:

- Allespach, Engelhardt u.a., Gewerkschaftliche Jugendarbeit als Handlungs- und Möglichkeitsraum, Schüren Verlag 2002 (Praktiker/innen der gewerkschaftlichen Jugendarbeit berichten über ihre Ansätze).

- Seddik Bibouche, Josef Held, IG Metall-Jugendstudie, Lebenseinstellungen junger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Schüren Verlag 2002.

Nachfolgend sollen einige zentrale Ergebnisse der IG Metall Jugendstudie kurz skizziert und ihre Bedeutung für die Jugendarbeit herausgearbeitet werden. Generell kann vorab eines festgestellt werden: viele Orientierungen junger Arbeitnehmer/Innen sind sehr widersprüchlich.

Das Verhältnis zu Arbeit und Beruf

Die Ergebnisse der IG Metall Jugendstudie zeigen, dass Arbeit und Beruf bei den Jugendlichen einen hohen Stellenwert besitzen und stärker als die Freizeit gewichtet sind. Für über 50% steht der Beruf deutlich im Vordergrund.

Für die Jugendlichen spielt ihre berufliche Integration eine zunehmend wichtige Rolle. Dies scheint eine gute Voraussetzung dafür, dass die Gewerkschaften in ihr Blickfeld geraten, zumal die Notwendigkeit von Gewerkschaften außer Frage steht: 95 % der Befragten erwarten sich von der Gewerkschaft "das Aushandeln von Arbeitsbedingungen", 93 % die "Verbesserung der Qualität der Ausbildung" und 88 % "Schutz vor Willkür im Betrieb". Einig sind sich die Jugendlichen auch, dass die Jugendarbeit der Gewerkschaft wichtig ist (81%).

Auch alle anderen Aufgaben, die die Gewerkschaften übernommen haben, werden von einer Mehrheit für wichtig gehalten - mit Ausnahme der "politischen Bildung". Für letztere hat sich keine Mehrheit gefunden. Allerdings hängt dies mit dem Politikverständnis von Jugendlichen zusammen, auf das noch eingegangen wird.

Die Jugendlichen erwarten von der IG Metall also nicht neue, (vermeintlich) innovative, sondern eher traditionelle Angebote: "Die ureigenste Aufgabe der Gewerkschaften, für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu kämpfen, wird von den Jugendlichen vor allem für wichtig gehalten. Jugendliche wünschen sich an erster Stelle für die gewerkschaftliche Jugendarbeit, dass Veranstaltungen zu Problemen in der Arbeitswelt durchgeführt werden." (Held, Bibouche)
Der Wunsch nach beruflicher Integration und die Bedeutung, die die Jugendlichen Arbeit und Beruf beimessen, schließt Entwicklungsmöglichkeiten außerhalb des jetzigen Berufs nicht grundsätzlich aus - im Gegenteil: nur ganze 46 % der Befragten streben im Unternehmen, in dem sie ausgebildet werden, eine Tätigkeit im erlernten Beruf an, der Rest will etwas anderes machen bzw. sich weiter qualifizieren.

Flexibilität und Diskontinuität

Die hohe Flexibilität im Beruf korrespondiert mit Flexibilität auch in anderen Lebensbereichen. Die Zukunftsorientierung heißt Diskontinuität. "In der Konsequenz ist bei den Zukunftsplänen der Jugendlichen bei fast allen mindestens ein Bruch geplant, prophezeit oder befürchtet, eine andere Ausbildung, Auswanderung, Berufswechsel etc. Die Planung der persönlichen Entwicklung bis zur Rente oder Ruhestand kam in keinem Interview vor." (Held/Bibouche)

In diesem Kontext entstehen temporäre Identifikationen. Auch wenn man weiß, dass Bindungen im Rahmen der neuen Mobilität und Diskontinuität nicht von Dauer sind, entstehen dennoch Identifikationen, die allerdings nicht von Dauer sein müssen. Temporäre Identifikationen sind jeder Zeit revidierbar bzw. ersetzbar. Das kann auch das gewerkschaftliche Engagement betreffen. Längerfristige Verbindlichkeiten und feste Positionen sind eher die Ausnahme.

Politische Einstellungen

Dies steht in engem Zusammenhang mit widersprüchlichen politischen Orientierungen. Einerseits finden - so die IG Metall Jugendstudie - z.B. Werte wie Demokratie eine hohe Akzeptanz; gleichzeitig wird aber auch einem Autoritarismus zugestimmt, etwa wenn die Autorität als unabdingbare Voraussetzung für reibungslose Abläufe bewertet wird.

Das Politikverständnis der Jugendlichen ist ein eher enges, nach dem Motto "Politik ist ausschließlich das, was die Politiker machen". Politik wird auf der Grundlage dieses Politikverständnisses tendenziell abgelehnt. Die Tübinger Jugendforscher sprechen hier von Politikverleugnung, die unterschiedliche Motive haben kann. Auffällig sei geradezu die Verleugnung eines politischen Standpunkts. Man will sich nicht festlegen und man will mit "Politik" nichts zu tun haben.

Dies bestätigen auch die Antworten zum politischen Standpunkt (Links-Rechts-Skala): 60% der Befragten verordnen sich in der Mitte (links: 6 %, eher links als rechts 8 %, rechts 9 %, weiß ich noch nicht 14 %). Sich in der Mitte einzuordnen, kann für die Jugendlichen durchaus funktional sein: "Alle etablierten Parteien der Bundesrepublik tummeln sich entweder in der Mitte oder definieren sie für sich um als den einzigen Punkt, von dem aus Demokratie, Innovation und Fortschritt möglich ist. Jede Art von Abweichung kommt einer Ideologisierung gleich und wird deswegen verpönt. In einer Welt ohne politische Blöcke ist man eben weder rechts noch links, sondern vorne. Die Jugendlichen passen sich dieser Entwicklung an, weil sie integriert sein wollen und sich alle Optionen offen halten möchten." (Held/Bibouche)

"Politik den Politikern" könnte die Parole der Jugendlichen sein: "Es ist erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit die Absage an die Politik in all ihren möglichen Variationen sich in unseren Interviews wiederholte. Das trifft sogar für Jugendliche mit hohem politischen Bewusstsein und Engagement zu." Die Forscher berichten selbst von Gesprächen mit sehr engagierten Gewerkschaftsjugendlichen, die an politischen Handlungen teilnehmen und politische Aussagen zu Themen wie Europa, Steuerreform etc. formulieren, für sich selbst aber die Bezeichnung "politischer Mensch" verweigern.
Daneben wurden eklatante Wissenslücken bei Grundwissen über politische Zusammenhänge festgestellt. Josef Held und Seddik Bibouche haben dafür den Begriff "politische Verwahrlosung" gewählt. Dieser Begriff war innerhalb der IG Metall-Jugend umstritten, da damit bei einer Fehlinterpretation eine mögliche Diskriminierung der Jugendlichen die Folge sein kann. Unabhängig davon: "Das Wissen über die Gewerkschaften ist dramatisch gering, wie wir vor allem in den Interviews feststellen konnten. ... Wenn überhaupt ein Wissen in Bezug auf die Gewerkschaften vorhanden war, dann kam es nicht von den Gewerkschaften selbst, sondern aus dem Sozialkundeunterricht." (Held/Bibouche)

Rassismus und Nationalismus

Bereits in einer früheren Studie hatten Held u.a.5 ermittelt, dass rassistische und rechtsradikale Einstellungen bei jungen, insbesondere männlichen Gewerkschaftsmitgliedern ausgeprägter sind als bei ihren Altersgenossen. Dieses deprimierende Ergebnis hat die Gewerkschaftsjugend zu erheblichen Anstrengungen in ihrer antirassistischen Arbeit veranlasst. In der aktuellen Jugendstudie konnte dieser Zusammenhang nicht mehr gefunden werden. Es besteht leider kein Anlass zur Entwarnung: die nicht gewerkschaftlichen Jugendlichen sind in ihren Einstellungen im Durchschnitt nach rechts gerückt!

Bei rassistischen Positionen hat sich eine interessante Verschiebung ergeben. Während der offene Rassismus erfreulicherweise deutlich zurückgegangen ist, hat sich dagegen eine Einstellung durchgesetzt, die von Bibouche und Held als "expansiver Nationalismus" bezeichnet wird. Neben dieser negativen Tendenz beschreiben die Autoren auch einen Trend, den sie als "Segmentierung" bezeichnen. Im Unterschied zu Klassenschranken früherer Zeiten sehen sie darin das heute verbreitetste Abgrenzungsmerkmal: "Darauf kommt es in der Dialektik von Integration und Ausgrenzung an; die sozialen Grenzziehungen in dem System von sozialer Ungleichheit werden meist entlang von Hauptsegmenten gezogen, denen die Individuen zugeordnet werden."

Das Verhältnis zu Organisationen

Im Kontext der Individualisierungsdebatte wurde ja hinlänglich das Ende von großen Organisationen, u.a. der Gewerkschaften, prophezeit. Aber genau wie die Shell-Jugendstudie 2000 konnte auch die IG Metall Jugendstudie feststellen, dass nicht die Ab- sondern umgekehrt die Hinwendung zu Organisationen Realität ist. Die Jugendlichen engagieren sich in einem festen Rahmen, wollen darin aber etwas für sich selbst machen, Spaß dabei haben. Das steht überhaupt nicht im Widerspruch zu den bevorzugten traditionellen Strukturen.

Unsere Erfahrungen zeigen, dass die Arbeit in Strukturen mit Sitzungen, Besprechungen u. dgl. dann akzeptiert und sogar befürwortet wird, wenn sie sinnvoll und nützlich erscheint. Bezüglich der neuen Engagementfelder, z.B. Bürgerinitiativen, besteht ein geringes Interesse. Und selbst die heutigen Jugendszenen sind für die Jugendlichen keine Alternative zur Mitgliedschaft in Organisationen. Dazu Bibouche/Held: "Jugendliche akzeptieren Organisationen wieder, orientieren sich allerdings dabei an sogenannten Selbstentfaltungswerten, welche auch die Angst vor der Vereinnahmung erklären. Man ist nicht nur pflichtmäßig für die Organisation da, sondern man versucht möglichst viel selber davon zu haben. Statt Idealismus ist bei den Jugendlichen Realismus angesagt." (Ebd.) Man möchte sich also nicht nur selbstlos und uneigennützig aufopfern, sondern auch was vom Engagement haben. Die IG Metall und die IG Metall-Jugendarbeit wird als Chance gesehen, etwas für die eigenen Interessen zu tun; d.h., die Organisation soll für den eigenen Kompetenzgewinn genutzt werden.

Insofern ist es auch erklärbar, dass es einen großen Wunsch nach Mitgestaltung in der Organisation gibt. Die Jugendlichen wünschen sich von den Gewerkschaften an erster Stelle, dass "jeder / jede gleichberechtigt mitentscheiden" kann. Gleich an zweiter Stelle plädieren sie dafür, dass "man auch kurze Zeit und ohne weitere Verpflichtung mitarbeiten" kann. Außerdem besteht ein hohes Interesse an einem informellen Austausch, der nicht ausschließlich von Programmen und Tagesordnungen strukturiert wird.

Der IG Metall-Jugendstudie folgend zeigen sich neue, bisher kaum diskutierte Werte. Insgesamt dominiert ein Pragmatismus nach dem Motto: Wo ist was zu tun? Mit dem Pragmatismus korrespondiert ein positiver Weltbezug, d.h. Handlungen und Engagement resultieren weniger aus Kritik. Bei den Interviews im Rahmen der IG Metall-Jugendstudie dominierte eindeutig die positive Stimmung in Bezug auf die persönliche Zukunft, auch wenn die gesellschaftliche Zukunft eher skeptisch gesehen wird.

2. Ergebnisse der IG Metall-Jugendstudie im Verhältnis zum Mainstream der Jugend-Berichterstattung

1999 startete innerhalb der Gewerkschaftsjugend der damalige ÖTV-Bundesjugendsekretär Steffen Kühhirt mit dem Artikel "Die Jugend darf nur die Bühne beleuchten" (Süddeutsche Zeitung vom 10.8.1999) eine heftige Diskussion. In den von den liberalen Feuilletons begeistert aufgegriffenen Thesen wirft er den eigenen Reihen ein Festhalten an antiquierten Dogmen vor. Im gleichen Atemzug lehnt er die damalige Kernforderung der Gewerkschaftsjugend, die gesetzliche Umlagefinanzierung zur Schaffung von Ausbildungsplätzen ("Wer nicht ausbildet, muss zahlen"), ab. Seine Anklage gipfelt in dem Vorwurf, "Junge Wilde" wie er selbst würden von "Traditionalisten" untergebuttert, die überhaupt nicht mehr nachvollziehen könnten, wie Jugendliche und junge Erwachsene heute dächten.

Kühhirt stützt sein Jugendbild auf eine Reihe von öffentlichkeitswirksam plazierten Artikeln und Aufsätzen aus dem Grenzbereich zwischen quasi-wissenschaftlicher Analyse und Feuilleton. Entsprechende Beschreibungen finden sich bei den Autoren Jörg Tremmel (u.a. in GeMo 11/98), dem Autorenduo Johannes Goebel/Christoph Clermont ("Die Tugend der Orientierungslosigkeit")6 oder dem FAZ-Redakteur Florian Illies ("Generation Golf").7 Wissenschaftliche Weihen erhalten ihre Thesen durch den bekannten Soziologen Ulrich Beck, der ähnliche Deutungsmuster für Jugendliche präsentiert. Sie alle entwerfen - mit unterschiedlichen Nuancen - Bilder von optimistischen Jugendlichen, die sich vor allem durch drei Gemeinsamkeiten auszeichnen:

- Die ausgeprägte Betonung von Individualität und Flexibilität in der eigenen Lebensgestaltung (Clermont/Goebel): "Lebensästhet ... was zählt, ist die Einordnung ins individuelle Konstrukt.") und die damit verbundene tiefgreifende Ablehnung jeder Form von institutionalisierter Mitwirkung z.B. in Verbänden.

- Die Ablehnung einer für die 68er-Bewegung als typisch erachteten Form von Politikbetrachtung, die sich kritisch mit den politischen Verhältnissen auseinandersetzt (Tremmel). Während er den Pragmatismus der 89er-Generation entgegensetzt, konstatiert Beck eine als Reaktion auf die 68er entwickelte wiederum hochpolitische Politikverleugnung: "Die Jugendlichen haben - endlich - auch was entdeckt, mit dem sie Erwachsene zur Panik treiben können: Spaß."

- Die nicht in erster Linie inhaltlich motivierte, sondern vor allem ästhetisch begründete Ablehnung von politisch aktiven AltersgenossInnen: "Die Schülervertretung als solche war eine alberne Ablehnung der 70er Jahre, wir sahen eigentlich keinen rechten Sinn mehr darin ... man erkannte sie schon beim Eintreten an den Greenpeace-Stickern und dem hennarot gefärbten Haar." (Illies)

Durch diese Sicht ist die mediale Jugend-Debatte der vergangenen Jahre maßgeblich geprägt worden und hatte deshalb auch erhebliche Auswirkungen auf innergewerkschaftliche Diskussionen. Leider wird der blinde Fleck dieses Jugend-Diskurses von seinen Anhängern übersehen: Er konzentriert sich auf einen Ausschnitt von Jugendlichen, der überwiegend in Großstädten lebt, studentisch geprägt ist oder dort in flexiblen Jobs der inzwischen von der ökonomischen Realität eingeholten Medien- oder Informations- und Telekommunikationstechnologie arbeitet. Die Kehrseite bilden Horrormeldungen über marginalisierte oder radikalisierte Jugendliche. Bei den meisten Berichten über Rechtsradikale, Fußball-Hooligans oder vorzugsweise nicht-deutsche Jugendgangs steht keine differenzierte Auseinandersetzung, sondern eine prickelnde Schock-Berichterstattung im Vordergrund.

Der Skandal dabei ist: Eine große Mehrheit der Jugendlichen spielt in der öffentlichen Diskussion keine Rolle. Dabei beginnen immer noch weit über 600.000 von ihnen jährlich eine per Berufsbild geregelte Ausbildung. Seriöse Umfrageergebnisse zugrunde gelegt kommen diese Jugendlichen zu ganz anderen Schlussfolgerungen als der ehemalige ÖTV-Bundesjugendsekretär Steffen Kühhirt, der auf der Welle einer medialen Debatte mitschwamm, anstatt die eigene Klientel im Blick zu haben. 81,5 Prozent der 14-19jährigen bewerteten z.B. laut einer Umfrage des Forschungsinstitutes "result" die von ihm abgelehnte Forderung nach einer gesetzlichen Umlagefinanzierung zur Schaffung von Ausbildungsplätzen im Januar 1998 als positiv.

Die Thesen von Kühhirt fanden damals bei einigen führenden Gewerkschaftsfunktionären, die ihre Sicht über die Jugend ebenfalls aus der medialen Debatte bezogen, begeisterte Unterstützung. Die nunmehr vorliegenden Ergebnisse der IG Metall-Jugendstudie zeigen, welche fatalen Folgen es gehabt hätte, wären die Gewerkschaften auf den fahrenden Mainstream-Zug aufgesprungen. Gegenüber Steffen Kühhirts Philosophie hat sich jedoch innerhalb der ÖTV noch vor der Ver.di-Neugründung eine andere Strömung durchgesetzt. Bei allen anderen Gewerkschaften - mit Ausnahme vielleicht der IG BCE - haben seine Thesen ebenfalls keine Unterstützung gefunden.

3. (Politische) Schwerpunkte der IG Metall-Jugendarbeit

Viele der Ergebnisse aus der IG Metall-Jugendstudie waren schon vor ihrer systematischen und deshalb sehr wichtigen wissenschaftlichen Untersuchung für aufmerksame Vor-Ort-Praktiker/innen der gewerkschaftlichen Jugendarbeit spürbar gewesen. Deshalb hat die IG Metall-Jugend vor allem bei der Umsetzung ihrer politischen Schwerpunkte auf die Bedürfnisse von Jugendlichen Rücksicht genommen.

Die neuen "Richtlinien zur Jugendarbeit"

Um auch die formalen Strukturen endlich den veränderten Bedingungen anzupassen, hat die IG Metall 2001 neue "Richtlinien für die Jugendarbeit" verabschiedet. Wesentliches Ziel ist es, sowohl dem Bedürfnis von Jugendlichen nach Flexibilität, Projektorientierung und zeitlicher Befristung ihres Engagements als auch dem notwendigen Maß an Kontinuität und Verbindlichkeit in der Jugendarbeit gerecht zu werden.

Die IG Metall-Jugend verfügt über einen im Vergleich zu anderen großen Jugendverbänden sehr geringen professionellen Apparat an hauptamtlichen Jugendarbeiter/innen und ist maßgeblich auf ehrenamtliches Engagement angewiesen. Innerorganisatorisch nimmt die IG Metall-Jugend eine durchaus bewusste Zwitterstellung ein. Sie ist einerseits eigenständiger Jugendverband innerhalb des "Dachverbandes" DGB-Jugend im Sinn des 1994 verabschiedeten Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Demnach hat sie - um nach dem Gesetz auch als Jugendverband anerkannt zu werden - bestimmte eigenständige Entscheidungsmöglichkeiten und auf örtlicher, bezirklicher und Bundesebene eigene Ausschüsse und Beschlusskonferenzen. Zum anderen ist sie Teil der Gesamtorganisation IG Metall und wirkt mit ihrer Arbeit auch in diese hinein (z.B. bei der Aufstellung von Tarifforderungen für den Jugendbereich, politischen Positionen etc.).

Die zwischen 1984 und 2001 auch für den Jugendbereich geltenden Personengruppenrichtlinien waren schon damals nicht auf der Höhe der Zeit und sind im Laufe der Jahre immer weiter veraltet. Charakteristisch waren relativ starre Bestimmungen für Mitwirkungsmöglichkeiten, die weitgehend auf die Arbeit in den zu wählenden Gremien und Ausschüssen beschränkt waren. Für diese waren Jugendliche z.B. erst nach einjähriger Mitgliedschaft wählbar und dies, obwohl 80 Prozent aller Jugend- und Auszubildenden-Vertreter/innen, die den Kern der gewerkschaftlichen Aktiven bilden, nach Erhebungen der IG Metall ihr Amt erstmalig und in der Regel ohne jede Ahnung von gewerkschaftspolitischen und betriebsverfassungsrechtlichen Hintergründen neu antreten. Nachdem diese Wahlen im Abstand von zwei Jahren stattfinden, liegt nahe, dass nach den alten Richtlinien einem Großteil von ihnen die Mitwirkung in einem Jugendausschuss der IG Metall verwehrt blieb.

Die als Reaktion auf die genannten Probleme verabschiedete neue Richtlinie bietet vor allem folgende Vorteile:

- Die Anhebung der Altersgrenze für den Jugendbereich entsprechend dem Kinder- und Jugendhilfegesetz des Bundes auf das vollendete 27. Lebensjahr.

- Die Festschreibung des Status der IG Metall-Jugend als "eigenständiger Jugendverband" innerhalb der DGB-Jugend.

- Verbesserte Möglichkeiten, moderne Formen von Jugendarbeit wie Netzwerke, Projektgruppen etc. zu bilden, ohne dabei auf Jugendausschüsse als wichtigstes gewähltes Gremium auf örtlicher, bezirklicher und Bundesebene zu verzichten.

- Bessere Mitwirkungsmöglichkeiten für die Jugend vor allem auf der örtlichen Ebene.
- Vereinfachte Wahlbedingungen (aktives und passives Wahlrecht bereits nach kurzer Zeit) für Ortsjugendausschüsse, die der hohen Fluktuation im Jugendbereich gerecht werden.

Über die Auswirkungen der neuen Jugend-Richtlinie in der Praxis gibt es noch keine Erfahrungswerte. Von der Papierlage her ermöglichen vor allem die Ziffern 2.6. bis 2.8. den Jugendlichen in der IG Metall auf örtlicher Ebene wesentlich weitreichendere Mitbestimmungsmöglichkeiten als in bis dato geltenden Bestimmungen.

Es kommt insbesondere bei den Ende 2003/Anfang 2004 im Anschluss an den Gewerkschaftstag der IG Metall stattfindenden Organisationswahlen darauf an, die lokal verantwortlichen Entscheidungsträger (Bevollmächtigte, Ortsvorstand) zu einer möglichst offensiven Interpretation dieser Bestimmungen im Sinn der Jugendlichen zu bewegen. Hier zeigt es sich im konkreten Einzelfall, wie ernst die auf dem außerordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall 1997 getroffene Verabredung genommen wird, Jugendarbeit als einen strategischen Schwerpunkt der IG Metall zu begreifen. In anderen Verbänden oder örtlichen Gremien (z.B. Jugendparlamente auf kommunaler Ebene) werden Jugendlichen seit einigen Jahren weitreichende Mitbestimmungsmöglichkeiten eingeräumt, um sie zu aktivem ehrenamtlichen Engagement zu bewegen. Die IG Metall muss diesen Weg ebenfalls beschreiten, um als Arbeitnehmer/innen-Organisation auch langfristig durchsetzungsfähig zu bleiben.

Mobilisierende Kampagnen mit abschließendem Aktionsfestival

Seit 1996 führt die IG Metall-Jugend sehr erfolgreich Kampagnen mit einem anschließenden Aktionsfestival durch. Zuletzt protestierten über 20.000 Gewerkschaftsjugendliche (davon über 10.000 aus der IG Metall) gemeinsam mit ebenfalls ca. 20.000 Anhängern des Netzwerkes ATTAC für die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten.

Diese Kampagnen, die die IG Metall-Jugend seit 1996 mit unterschiedlichen Bündnispartnern durchführt, sind kein Selbstläufer. Folgende Voraussetzungen, die auch Ergebnisse der IG Metall-Jugendstudie berücksichtigen, sind notwendig, um letztendlich erfolgreich zu sein:

- Ein integriertes Gesamtkonzept bei der Durchführung der Kampagne. Kernstück ist das funktionierende Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Ebenen der IG Metall (Vorstand, Bezirke, Verwaltungsstellen).

- Einbeziehung von möglichst vielen Jugendlichen bereits bei der Konzeption, Festlegung der konkreten Forderungen durch die Jugendlichen selbst.

- Diese Forderungen knüpfen an den unmittelbaren Arbeits- und Lebensbedingungen von Jugendlichen an (z.B. Ausbildungsplätze für alle, Verbesserungen bei der Qualität der Ausbildung etc.).

- Grundsätzliche Forderungen wie z.B. die nach Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten werden durch nachvollziehbare Beispiele wie z.B. die Investition der dadurch gewonnenen Finanzmittel in die Ausstattung veralteter Berufsschulen nachvollziehbar.

- Eigene Vorschläge zur Gestaltung der Zukunft und die Möglichkeit vorwärtsweisende Utopien zu entwickeln. Das Motto "Her mit dem schönen Leben!" setzt nicht auf negative Kritik, sondern appelliert offensiv an Jugendliche, sich selbstbewusst für die Gestaltung der eigenen Arbeits- und Lebenswelt einzusetzen.

- In Abgrenzung zu einer auf inhaltsleeren Spaß ausgerichteten Massenveranstaltung steht die phantasievolle Auseinandersetzung mit den Inhalten bei allen Vorfeld-Aktionen und natürlich auf dem Aktionstag selbst im Vordergrund.

- Eine verschmitzte, aber auch kämpferische Optik. Ein breiter Einsatz von inzwischen über 200 Karikaturen mit Kugelmännchen als Symbol für "Her mit dem schönen Leben!" führt zu einer breiten Streuung und massenhaften Verbreitung der Idee.

Sowohl im Jahr 2000 als auch 2002 hat die IG Metall-Jugend als Titel für ihre Kampagnen den Titel "Her mit dem schönen Leben!" gewählt. Diese offensive Forderung, die ursprünglich vom russischen Revolutionsdichter Wladimir Majakowskij stammt, formuliert einen offensiven Anspruch an die Gestaltung der eigenen Arbeits- und Lebenswelt. Das Motto passt außerdem zur Zukunftsdebatte der IG Metall.

Tarifpolitische Aktivitäten der IG Metall-Jugend

2002 ist es sehr erfolgreich gelungen, die Kampagne "Her mit dem schönen Leben!" mit der Tarifrunde im Frühjahr zu verknüpfen. Bei dieser insgesamt erfolgreich verlaufenen Auseinandersetzung waren mit über 50.000 Jugendlichen alleine in der Warnstreik-Phase so viele junge Leute an der Streik-Bewegung beteiligt wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Ähnliches war in der sehr harten Tarifauseinandersetzung der IG BAU sowie in einigen Bereichen von Ver.di zu beobachten.

Ergebnis dieses Engagements war in einigen Bezirken eine überproportionale Erhöhung der Ausbildungsvergütung. Im Zusammenhang mit der Einführung des Entgeltrahmentarifvertrages konnte außerdem in einigen Bezirken die seit Jahren geforderte Anbindung der Ausbildungsvergütung an das Eckentgelt erreicht werden. Ein weiteres wichtiges Ergebnis war die bereits in der Tarifauseinandersetzung 2000 bundesweit durchgesetzte 12monatige Übernahme nach der Ausbildung in der Metall- und Elektroindustrie, dem Stahlbereich sowie in Teilen der Textil-, Holz- und Kunststoffbranche. Solche Erfolge für die Jugendarbeit der IG Metall können gar nicht hoch genug bewertet werden. Jugendliche zeigen aktives Engagement, beteiligen sich massenhaft und sind damit an der Durchsetzung eines Ergebnisses beteiligt, das ihnen unmittelbar nützt und weiterhilft. Hier erleben Jugendliche eine ganz andere Art von Politik, die auch vom Ergebnis her in völligem Gegensatz zur Parteipolitik steht, die ihnen auch nach dem rot-grünen Regierungsantritt 1998 keinerlei politische Unterstützung zukommen lässt.

Reforminitiative berufliche Bildung

Eine wichtige Rolle spielt in der Jugendarbeit der IG Metall auch die Qualität der beruflichen Bildung. Anders als in der Öffentlichkeit häufig kolportiert, konnte in den letzten Jahren auch und gerade dank gewerkschaftlicher Initiative ein enormer Modernisierungsschub bei der Konzeption neuer Berufe wie z.B. den IT-Berufen, Mechatronikern oder zuletzt der Neuordnung der Industriekaufleute durchgesetzt werden. Die ursprünglich mit dem Zentralverband der Elektronikindustrie vereinbarte Modernisierung der Prüfungsordnung bei den Elektroberufen zog dieser auf Druck des Deutschen Industrie- und Handelstages wieder zurück.

Gegen diese Politik hat die IG Metall-Jugend mit der "Aktion Kammerjäger" und Protesten vor Industrie- und Handelskammern ebenso protestiert wie gegen die von Arbeitgeberseite eingeforderte Einführung von zweijährigen Ausbildungsberufen. In einem Katalog möglicher neuer Berufe der IHK Hamburg fanden sich so anspruchsvolle Ausbildungen wie "Garderobiere" oder "Parkplatzwächter". Besonders zynisch wird es, wenn diese durchsichtige Initiative für die Dienstboten-Gesellschaft - wie tatsächlich von Arbeitgeberseite immer wieder vorgebracht - mit einer notwendigen Rücksichtnahme auf "leistungsgeminderte Jugendliche" begründet wird.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die katastrophale Situation an vielen Berufsschulen. Die Einrichtung ist veraltet, das Lehrpersonal ist überaltert und vielen Herausforderungen gerade in innovativen Bereichen wie z.B. bei den seit 1997 existierenden IT-Berufen nicht gewachsen. Die IG Metall-Jugend verknüpft ihre Kampagne gegen die vielen unfreiwilligen "Museen der Arbeit" nicht mit einer Standort-Logik, wie sie seit dem "PISA-Schock" die bundesdeutsche Bildungsdebatte vielfach dominiert (dennoch werden von ökonomischen Gedanken geleitete Forderungen wie die des baden-württembergischen Handwerks-Verbandes nach der Einführung eines zusätzlichen Hauptschuljahres bei Richtigkeit gerne aufgenommen).

Die IG Metall-Jugend hat vor allem in ihren Kampagnen 2000 und 2002 die Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums mit Forderungen nach notwendigen Veränderungen im Bildungsbereich verknüpft. In der kurzen Aufschwungphase 2000 stand die IG Metall-Jugend fast völlig alleine mit ihrem Protest gegen die schon damals als verheerend eingeschätzte Abschaffung der Körperschafts- bzw. Kapitalertragssteuer. Die katastrophalen Folgen für die öffentlichen Haushalte dieser selbst von konservativer Seite als überflüssig bezeichneten Steuergeschenke an Großunternehmen haben sich in vielen Kommunen als katastrophal erwiesen und führen durch vielfache Streichkonzerte im kulturellen und sozialen Bereich zu einer spürbaren Einschränkung der Lebensqualität.

Ausblick - "Wir können auch anders!"

Im Grundsatz will die IG Metall-Jugend den in den letzten Jahren entwickelten Angebots-Mix beibehalten. Immerhin hat diese aktivierende Jugendarbeit zwischen 2000 und 2002 zu durchschnittlich 43.000 Neuaufnahmen von Jugendlichen jährlich geführt, Mitte der 90er Jahre lag die Zahl noch bei etwa 35.000. Neu hinzukommen soll ein Ausbau der Migrationspolitik, die die seit längerem vorangetriebenen antirassistischen Initiativen ergänzen soll. Dabei sucht die IG Metall-Jugend den Kontakt zu selbstorganisierten Gruppen junger Migrant/innen.

Die aktuelle Regierungspolitik und eine erneut drohende Ausbildungskrise in 2003 (gegenüber 2002 lag die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze im Westen der Republik um 15 Prozent (!) niedriger als noch im Vorjahr) haben den Ton in der IG Metall-Jugend schärfer werden lassen. In Anspielung an den grandiosen Film von Detlev Buck hat die im April 2003 stattfindende Bundesjugendkonferenz der IG Metall das Motto "Wir können auch anders! - Zukunft gestalten, Gesellschaft verändern". Das soll auch in Zeiten einer ablehnenden Haltung von Jugendlichen gegenüber dem, was sie "Politik" nennen, weiterhin Programm der IG Metall-Jugend sein. Denn wie an vielen Beispielen nachgewiesen werden konnte, sind bei entsprechenden Voraussetzungen Jugendliche zur aktiven Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse durchaus bereit. Vielleicht kommt auch wieder der Tag, an dem nicht nur einige, sondern viele sie zum Tanzen bringen wollen.


1. Entspricht der im Kinder- und Jugendhilfegesetz des Bundes festgelegten Altersgrenze.
2. Im Jugendbereich ist die IG Metall die weitaus größte Gewerkschaft vor Ver.di mit ca. 165.000 Mitgliedern.
3. Vgl. Seddik Bibouche/Josef Held, IG Metall-Jugendstudie, Lebenseinstellungen junger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Schüren Verlag, Marburg 2002.
4. Vgl. dazu Ulrich Beck, Kinder der Freiheit, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997.
5. Vgl. dazu Held/Horn/Marvakis, Gespaltene Jugend, Verlag Leske + Budrich, Opladen 1995.
6. Johannes Goebel, Christoph Clermont, Die Tugend der Orientierungslosigkeit, Verlag Volk und Welt, Berlin 1997.
7. Florian Illies, Generation Golf - Eine Inspektion, Argon Verlag, Berlin 2000.
 

 

Zum Seitenanfang