Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung
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  Heft 51, September 2002, 13. Jhrg

Editorial

Diese Ausgabe von Z erscheint im unmittelbaren Vorfeld der Bundestagswahlen vom September 2002. Sie wird eingeleitet mit einem Beitrag zu Wolfgang Abendroth, aus der Sicht der Autoren Balzer, Lieberam und Münchow der „bedeutendste Theoretiker der marxistischen Linken in der Bundesrepublik" zum Parteiensystem der alten BRD. Abendroth kennzeichnete dieses als „verhülltes Blocksystem". Die Autoren zeichnen Abendroths Überle­gungen zu den vom parlamentarischen System ausgehenden Integrationsmechanismen und zu den Aufgaben der Linken im Zusammenhang mit Wahlen nach und beziehen sie auf die aktuelle Situation. Sie legen ein Schwergewicht ihrer Betrachtung auf die Abendrothsche Analyse der inneren Widersprüche der SPD-Entwicklung seit den fünfziger Jahren (sozialistischer Reformismus vs. integrationalistischer Reformismus) und die heute auf die PDS wirkenden Anpassungszwänge.

Mit den Wahlerfolgen rechtspopulistischer Parteien in Frankreich und den Niederlanden hat sich in diesem Jahr ein Trend fortgesetzt, der schon seit einigen Jahren die europäische Parteienlandschaft verändert: Mit den Regierungsverlusten der „neuen" Sozialdemokratie in den meisten Ländern Europas verbindet sich der Aufstieg rechtsautoritärer Parteien, die im Verbund mit der etablierten Rechten in etlichen Fällen in Regierungsverantwortung gelangt sind. Dem „Rechtspopulismus in Europa" ist der Schwerpunkt dieses Heftes gewidmet. Ursachen und Erfolgsbedingungen für diese Entwicklung werden in den Blick genommen.

Mit der Frage, was sich hinter dem Begriff des „Rechtspopulismus" verbirgt und wie sich diese Strömung von der extremen Rechten unterscheidet, beschäftigt sich Gerd Wiegel Stil und Inhalt rechtspopulistischen Auftretens stehen dabei im Mittelpunkt, wobei vor allem die Verbindung gänzlich konträrer Ideologiemomente als Erfolgsbedingung ausgemacht werden. An einzelnen Länderbeispielen wird dieser Erklärungsansatz konkretisiert. Anhand der Diskurse zur Zuwanderung, zur demografischen Entwicklung und der Verknüpfung beider Diskurse verdeutlicht Christoph Butterwegge wie die Ethnisierung der sozialen Frage zum Einfallstor für rechtspopulistische Argumentationen auch in Deutschland gemacht wird. Hier ist es vor allem die „politische Mitte", die diesen Prozess vorantreibt. Martin Hantke erörtert die europäische Entwicklung des Rechtspopulismus sowie die inhaltlichen Gemeinsamkeiten der jeweiligen Parteien. Christian Christen verdeutlicht die Erfolgsbedingungen und die veränderte Situation der zweiten italienischen Rechtsregierung unter Berlusconi. Die ungleichen Partner dieser Koalition bedienen verschiedene Erwartungen und gewährleisten so die größere Elastizität des aktuellen Bündnisses. Die Frage nach dem Versagen der Linken und ihrer Verantwortung für den Aufstieg der populistischen Rechten steht im Mittelpunkt der Analyse Fausto Bertinottis zu den jüngsten Wahlen in Frankreich. Die autoritäre Rechte wird hier als eine Erscheinung des gegenwärtigen Kapitalismus ausgemacht, der die Regierungslinke offensichtlich nichts entgegenzusetzen hat. René Karpantschof verfolgt die Entwicklung der extremen Rechten in Dänemark seit den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Angesichts einer veränderten Rechten stellt sich die Frage nach der Bedeutung des traditionellen Konservatismus. Für die Bundesrepublik geht Ludwig Elm dieser Frage anhand der Geschichte des konservativen Theorieorgans Criticón nach, dessen politische Interventionen über dreißig Jahre bis in die Gegenwart nachgezeichnet werden.

Peter Strutynski bilanziert vier Jahre Außen- und Sicherheitspolitik der rot­grünen Regierungskoalition und kommt zu dem ernüchternden Ergebnis, dass mit Schlagworten wie „Normalität" und „Verantwortung" eine Politik durchgesetzt wurde, die darauf setzt, unter dem Anspruch von Friedenssicherung und Stabilität weltweit in Konflikte militärisch intervenieren zu können. Tobias Pflüger belegt, wie die Bundeswehr zur Umsetzung dieser Politik umstrukturiert wurde und in ihrem Kernbereich eine kriegführungsfähige Interventionsarmee geworden ist.

In die von Z gepflegte Rubrik „Marxforschung" gehört der Beitrag von Wolfgang Förster, der Bezugspunkten zu Kant im Denken von Marx nachgeht und damit dem Weg von der „Kritik der reinen Vernunft" zur „Kritik der politischen Ökonomie". Der Beitrag gibt zugleich eine Übersicht zu Aspekten der Kant-Forschung in der DDR. Bernd Befna liefert einen kritischen Überblick über die neuere amerikanischen Literatur zu Justizwesen und Strafgerichtsbarkeit in den USA und belegt den repressiven Charakter dieses Systems. Hans Luft diskutiert den Unterschied zwischen juristischen und ökonomischen Gesetzen. Des weiteren enthält dieses Heft wieder zahlreiche Tagungsberichte und Buchrezensionen.

Am 24. Juli 2002 jährte sich zum zehnten Male der Todestag von Josef Schleifstein. Jupp, wie er von Freunden und Genossen genannt wurde, war von 1968 bis 1981 Leiter des Instituts für Marxistische Studien und Forschungen und blieb dem IMSF auch danach als Mitarbeiter und Berater ver­bunden. Bis zu seinem Tode war er Mitherausgeber von Z. Wir erinnern an Jupp Schleifstein als einen großen kommunistischen Intellektuellen und einen herausragenden Vertreter jenes klassischen Marxismus, der seinen praktischen Bezugspunkt in der Arbeiterbewegung und der Oktoberrevolution suchte. Die Erfahrungen von Verfolgung und Exil, legalem und illegalem Kampf, von Aufstieg und Zusammenbruch des Realsozialismus haben sein Leben und Denken geprägt und ihn nicht darin ermüden lassen, nach Wegen für das sozialistische Projekt einer befreiten Gesellschaft zu suchen. Jupp gehört zu jenen, die mehr als eine Generation von Marxisten in der Bundesrepublik geprägt haben.
 
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