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Heft 48,
Dezember 2001, 12. Jhrg
Editorial
Der 11. September und die Terroranschläge von New York und Washington
haben die politische Tagesordnung rasant verändert. „Nichts ist mehr wie zuvor'
- dieser allseits nach dem 11. September geäußerte Satz erweist sich zwar als
Unsinn, dennoch wird offensichtlich, dass sich mit der hysterischen Suche nach
innerer und äußerer Sicherheit in den kapitalistischen Metropolendie Bedingungen
für linke Politik komplizierter gestalten. In Zeiten des Krieges kennt die
offizielle Politik keine Parteien mehr, sondern nur noch das Bekenntnis zur
uneingeschränkten Solidarität. Kritische Fragen sind weniger denn je erwünscht,
dafür um so wichtiger. Je länger jedoch der Krieg gegen Afghanistan dauert, je
undurchsichtiger Strategie und Ziel der USA werden, um so mehr Fragen ergeben
sich, um so wichtiger ist es, sich ein eigenes Bild der Lage zu erarbeiten.
Angesichts dieser Art von Gewalteskalation kann es nicht Aufgabe der Linken
sein, Partei für eine der am Konflikt beteiligten Seiten zu ergreifen. Das
Engagement der Linken gilt offenbar vielmehr der militärischen Deeskalation. Es
geht darum, der um sich greifenden Militarisierung der Politik politische
Lösungskonzepte entgegen zu setzen. „Krieg ist keine Lösung" - so heißt es
vielerorts zu Recht. Denn der Blick ist auf die Schattenseiten der
Globalisierung zu richten. Die Linke ist deswegen gut beraten, die Ursachen und
Zusammenhänge zu verdeutlichen, die zur aktuellen Situation geführt haben. Im
vorliegenden Heft untersucht Matin Baraki die Genese des AfghanistanKonfliktes
und die Rolle der Taleban. Der Artikel wurde vor dem 11. September geschrieben,
angesichts der Ereignisse jedoch aktualisiert.
Die Kritik an der Globalisierung als Kristallisationspunkt einer neuen
Kapitalismuskritik: So hatten wir angesichts der Ereignisse von Genua im Juli
dieses Jahres die Schwerpunktsetzung für Z 48 begründet. Gerade der Terror des
11. September und die Frage nach den Gründen hat verdeutlicht, dass die mit der
Globalisierung einhergehenden Ungleichheits- und Ausbeutungsverhältnisse ein
gewalttätiges Potential beinhalten, das sich, vermittelt und ideologisch
drapiert, seinen Weg bis in die Zentren des westlichen Kapitalismus bahnt. Die
Frage nach diesem Zusammenhang erscheint heute der offiziellen Politik
verdächtig. So sieht der italienische Ministerpräsident Berlusconi, selbst
politisch verantwortlich für die Gewaltexzesse der Sicherheitskräfte in Genua,
„merkwürdige Übereinstimmungen" zwischen den Globalisierungskritikern und den
islamischen Terroristen. Beide seien Gegner der westlichen Zivilisation.
Sieht man sich die Globalisierung und ihre Auswirkungen an, dann wird dagegen
deutlich, dass der Kern der Krise genau in der konkreten Ausgestaltung dieser
Globalisierung liegt. Christian Fuchs und Wolfgang Hofkirchner stellen
verschiedene Golbalisierungstheorien vor. Kriesenerscheinungen stehen in den
Artikeln von Lydia Krüger/Markus Helfen und Dieter Boris/Ingo Malcher im
Mittelpunkt. Während Krüger/Helfen die Ursachen der Krise des neuen Marktes in
den Blick nehmen und dabei von einer Überproduktionskrise ausgehen, die ihren
Ursprung in den asiatischen „Tigerstaaten" hat, gehen Boris/Malcher der
aktuellen Krise Argentiniens nach und zeigen auf, wie die neoliberalen Rezepte
den Weg in den Staatsbankrott bereiteten.
Der zweite Teil des Schwerpunkts ist der globalisierungskritischen Bewegung und
den möglichen Alternativen zur gegenwärtigen Form dieser Globalisierung
gewidmet. Stephen Gill versucht eine an Machiavelli und Gramsci anschließende
Deutung dieser neuen dezentralen und vernetzten Bewegung als „postmodernen
Fürsten". ATTAC, eine der größten Organisationen dieser Bewegung, wird von Kai
Mosebach gerade im Hinblick auf die hier diskutierten Inhalte und Alternativen
untersucht, wogegen Mark Seibert der Frage nachgeht, was eigentlich die
Motivation der zumeist jungen Protagonisten dieser Bewegung ist. Hier stellt
sich die Frage nach Stand und Möglichkeiten der Politisierung. Ulla Lötzer und
Jörg Huffschmid zeichnen die Diskussion zum Thema Globalisierung nach, wie sie
im Rahmen der Enquete-Kommission des Bundestages geführt wurde und gehen hier
vor allem auf die Diagnosen des Minderheitenvotums der PDS-Fraktion ein. Klaus
Dräger schließlich nimmt die Netzwerke und Organisationen in den Blick, die
jenseits von Parlament und Gipfelsturm die negativen Seiten der Globalisierung
zu ihrem Anliegen machen.
Neben den Artikeln des Schwerpunktes liegt auch bei den Buchbesprechungen dieses
Heftes der Akzent auf Veröffentlichungen zum Thema Globalisierung und
Globalisierungskritik.
Die weiteren Beiträge des Heftes beschäftigen sich mit marxistischer Theorie und
Geschichte. So betrachtet Erich Hahn anläßlich des 30. Todesjahrs von Georg
Lukács dessen Alterswerk, die Prolegomena des gesellschaftlichen Seins, nicht
nur im biographischen Kontext seiner Parteinahme in den Kämpfen der Epoche,
sondern auch im größeren Zusammenhang marxistischer Theoriegeschichte des 20.
Jahrhunderts. Karl Hermann Tjaden fragt auf der Grundlage des gegenwärtigen
Stands gesellschafts- und geschichtswissenschaftlicher Forschung nach dem
wirklichen und möglichen wissenschaftlichen Wert historisch-materialistischer
Theorie bei Marx und Engels. Helmut Bock geht auf den im nächsten Jahr
anstehenden 85. Jahrestag der russischen Revolution ein und unterzieht die für
den Realsozialismus verbindliche Lesart und Wertung von Februar und Oktober
einer Revision.
Z 49 wird sich in mehreren Beiträgen mit der aktuellen Entwicklung von Krieg und
Terror befassen. Den Schwerpunkt des Heftes soll unverändert das Thema
„Wissensgesellschaft" bilden.
Dank der Arbeit und Hilfe von Ngo-Khac Tri ist Z. seit einigen Wochen auch mit
einer Homepage im Netz vertreten, die die Redaktion unter einigen Druck setzt,
eine ähnliche Professionalität auch für die optische Gestaltung des Heftes zu
gewährleisten. Unter der Adresse: www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de
können alle Informationen zu Z., zu aktuellen und älteren Heften, sämtliche
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Hefte eingesehen werden. Auch der Kontakt zur Redaktion und die Bestellung von
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dem 1.1.2002 kostet das Einzelheft 9,50 Euro, der Abo-Preis beträgt 32.00 Euro.
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