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Heft 47,
September 2001, 12. Jhrg
Editorial
Die Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik wird seit den letzten Monaten
voll vom internationalen Konjunkturabschwung bestimmt. In abgestuftem Maße
steuert die Wirtschaft in den USA, in Asien und im Euro-Raum in eine zyklische
Krise. Die Weltwirtschaftsübersicht von Hans-Joachim Höhme aus Z 46
wird in diesem Heft mit einer Konjukturanalyse und -vorschau für die Bundesrepublik
ein knappes Jahr vor den nächsten Bundestagswahlen fortgesetzt. Sie zeigt,
dass die ausgeprägte Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft bei
Wegbrechen ausländischer Märkte und einer geschwächten Binnennachfrage
(angesichts der Teuerung und "moderater Lohnpolitik" trotz Steuerentlastung
real gesunkene Löhne, Gehälter und Renten; öffentliche Sparpolitik)
in den nächsten Monaten zu einem deutlicheren Konjunkturrückgang führen
wird. Die angekündigten Massenentlassungen bei Großunternehmen stellen
eine erste Reaktion dar. Das Szenario vor der Bundestagswahl wird also stark von
der Wirtschaftslage und dem erneuten Ansteigen der Massenarbeitslosigkeit bestimmt
werden. Wie die jüngsten Umfragen von infratest dimap zeigen, schlägt
sich dies auch bereits im öffentlichen Bewußtsein nieder - als abnehmende
Attraktivität von "rot-grün" und wachsende Hinwendung zur
personell angeschlagenen CDU/CSU.
In den letzten Heften von Z standen einzelne Aspekte der Kapitalismusanalyse und
Programmdiskussion der Linken in der Bundesrepublik im Mittelpunkt, wie sie sich
exemplarisch in der Auseinandersetzung in der PDS und ihrem Umfeld zeigen. Der
Schwerpunkt dieses Heftes soll zur aktuellen Bestandsaufnahme der Linken in Europa
beitragen. Im ersten Teil geht es um Politik und Programmatik sozialistisch/kommunistischer
Parteien, um Geschlechterpolitik und um Gewerkschaften auf der europäischen
Ebene. im zweiten Teil um Krise und Neuorientierungsdiskussion der marxistischen
Linken in Italien und Frankreich.
Andreas Wehr gibt einen Überblick zur Kooperation von Sozialisten, Kommunisten
und linken Grünen im Rahmen der Linksfraktion im Europaparlament. Die Linksfraktion
stellt derzeit faktisch die einzige Form einer über punktuelle Zusammenarbeit
hinausgehenden Kooperation dieser Richtungen auf europäischer Ebene dar.
Die europäischen Parteien mit marxistischem und antikapitalistischem Anspruch
befinden sich, wie die Übersicht von Harald Neubert zeigt, programmatisch
nach wie vor in einer Such- und Neuorientierungsphase. Der Spagat zwischen sozialistischer
Programmatik und Reformpolitik führt zu zum Teil heftigen Richtungsauseinandersetzungen
im Linksspektrum der einzelnen Länder und in den einzelnen Parteien selbst.
Geschlechtergleichstellung und "gender mainstreaming" (Susanne Schunter-Kleemann)
und Gewerkschaftspolitik auf europäischer Ebene (Martin Beckmann) sind weitere
Themen dieses Abschnitts.
Italien und Frankreich waren in den siebziger und noch in den beginnenden achtziger
Jahren die beiden Länder Westeuropas mit den stärksten und einflußreichsten
kommunistischen Parteien, die Länder, in denen zeitweilig ein Bruch mit der
kapitalstischen Entwicklung für möglich gehalten wurde. In beiden Ländern
haben die Erschütterungen im Selbstverständnis in Folge des Zusammenbruchs
der europäischen sozialistischen Länder, die Erosion ihrer klassischen
sozialen Basis und die praktische wie ideologische Dominanz des Neoliberalismus
zu einem massiven Einflußverlust der marxistischen Linken geführt -
FKP und die Transformation der KPI in die sozialdemokratische DS markieren die
epochalen Veränderungen, die sich auch in diesen beiden Ländern/Gesellschaften
vollzogen haben.
Die Schwäche der Linken hat sich in Italien mit dem Wahlsieg des Berlusconi-Blocks
eindeutig offenbart. Karl Ungers Diagnose betont ... Fausto Bertinotti, der Sekretär
von Rifondazione Communista, setzt in einer Rede vor dem Nationalrat seiner Partei
auf dies und das .... In Frankreich hat die FKP als Teil der Regierung bei den
letzten Kommunalwahlen schwere Einbrüche hinnehmen müssen, während
die radikale Linke ihre Positionen stärken konnte. Die aktuelle Diskussion
im Rahmen der FKP, die in Beiträgen ihres Nationalsekretärs Robert Hue
und von Roger Martinelli und Bruno Drweski zum Ausdruck kommt, findet im Vorfeld
der Präsidentschaftswahlen des nächsten Jahres statt und ist geprägt
von der Frage nach der Neupositionierung der FKP als Teil einer pluralen Linken.
Mit den Auswirkungen des "flexiblen Kapitalismus" - so das neueste Schlagwort;
"flexibel" insbesondere hinsichtlich der Ausbeutungsverhältnisse
- auf Lebenslagen und Arbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik befassen
sich drei Beiträge von Bell/Kreutz/Recht zum Armutsbericht der Bundesregierung
und, mit unterschiedlicher Akzentuierung, von Alexandra Wagner und Joachim Bischoff,
zu den Metamorphosen des Normalarbeitsverhältnisses. Über Aspekte des
marxistischen Denkens in Mexiko informiert Christian Gandler; Helmut Peters berichtet
über die innerchinesische Diskussion zur Zukunft des Landes zwischen Sozialismus
und Kapitalismus.
Genua hat in aller Dramatik gezeigt, dass die Globalisierungsfolgen zu einem Kristallisationspunkt
einer neuen Kapitalismuskritik werden. Der Schwerpunkt von Z 48 wird sich mit
"Globalisierung und Globalisierungskritiker" befassen. Neben Analysen
zu Globalisierung, Globalisierungstheorien und Krisen im internationalen Kapitalismus
(u.a. Argentinienkrise, E-Commerce und Finanzkrise) sollen die Kritik und Alternativen
der Antiglobalisierungsbewegung und die Bewegungen selbst vorgestellt und diskutiert
werden. Die für das vorliegende Heft angekündigten und eingereichten
Beiträge von Fuchs/Hofkirchner, Krüger/Helfen und Dräger gehören
zu diesem Themenkomplex in Z 48.
Neu in der Redaktion: Wolfram Burkhardt, Politologe, z.Zt. noch Marburg, demnächst
Frankfurt/M.
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