Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung
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Heft 46, Juni 2001, 12. Jhrg

Editorial

Wir eröffnen Z 46 mit dem jährlichen Konjunkturbericht, der sich diesmal explizit auf die Weltwirtschaftskonjunktur bezieht. Hans Joachim Höhme befasst sich dabei ausführlich mit dem Ende des Konjunkturaufschwungs in den USA und den zu erwartenden Auswirkungen auf die internationale Wirtschaftsentwicklung. Die Implikationen für die bundesrepublikanische Konjunktur wird der Autor im nächsten Heft diskutieren.

Seit dem Crash des Realsozialismus 1989/90 gilt der Markt allgemein als effizientester Mechanismus zur Allokation der Ressourcen. Marktradikale neoliberale Positionen, denen zufolge eine Befreiung der Märkte von staatlichen Regulierungseingriffen quasi automatisch ein Wohlstandsoptimum hervorbringen würden, gewannen zunächst weiter an Boden; der Hinweis auf mögliches Marktversagen galt als Ausdruck nostalgischer Sehnsüchte nach dem Versorgungsstaat. In den letzten Jahren ist diese Position wieder zunehmend unter Kritik geraten, wenn sie auch auf dem ideologischen Feld nach wie vor großen Einfluss besitzt und die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik weithin bestimmt. Angesichts einer zunehmenden Polarisierung auf den globalisierten Weltmärkten und krisenhafter Entwicklungen auf den Finanzmärkten mehren sich die Stimmen, die nicht so sehr das "ob", sondern mehr das "wie" von staatlicher Regulierung diskutieren. Gleichzeitig sehen sich an Marx orientierte Positionen vor die Herausforderung gestellt, ein glaubwürdiges Sozialismuskonzept zu entwickeln, welches einerseits das Scheitern der zentralen Planwirtschaft zur Kenntnis nimmt und sich andererseits bewusst ist, dass der real existierende Markt nicht bloß ein machtneutraler Mechanismus zur Steuerung von Produktionsstrukturen ist. In diesem Kontext sind die Beiträge zum Schwerpunkt "Markt und Macht" im vorliegenden Heft zu sehen.

Die neuen Finanz- und Handelsmärkte gehören zu den bestimmenden Momenten des globalisierten Kapitalismus im 21. Jahrhundert. Die gewachsene Macht, aber auch die Instabilität der von international agierenden Finanzkonzernen dominierten Finanzmärkte diskutiert Jörg Huffschmid. Er stellt eine Reihe von Vorschlägen zu ihrer Regulierung vor. Ingo Malcher und Alvaro Berriel Diaz charakterisieren die geplante gesamtamerikanische Freihandelszone (Free Trade Area of the Americas) als ein US-amerikanisches Hegemonialprojekt, das auch unter dem Gesichtspunkt der globalen Konkurrenz USA-EU um bestimmenden Einfluß auf den lateinamerikanischen Subkontinent (Mercosur) zu sehen ist. Gegen das Projekt regt sich, wie die Demonstrationen in Quebec zeigten, beachtlicher Widerstand, aber "der Countdown läuft" (S. 46). Herbert Schui plädiert für eine Überwindung des "Staatstraumas" der Linken. Wenn es ein Klasseninteresse der Lohnabhängigen an gesellschaftlicher Wohlfahrt gibt, dann führt kein Weg am Staat und an staatlicher Regulierung vorbei; Marktkräfte bewirken keine gesamtwirtschaftliche Rationalität. Schui plädiert für die Überwindung eines "wirtschaftsförmig verstandenen" zugunsten eines demokratischen Staates. In der entwicklungspolitischen Diskussion wird das Versagen beider "Institutionen" - von Markt und Staat - konstatiert. Jörg Goldberg führt dies auf Inkohärenzen zwischen ökonomischem Entwicklungsstand, Vergesellschaftungsgrad und politischen Herrschaftsformen in Ländern der Dritten Welt zurück, die durch die entwicklungspolitischen Agenturen des Nordens eher vertieft als überwunden werden.

Ist die Marxsche Theorie der Warenproduktion mit dem Konzept einer sozialistischen Marktwirtschaft vereinbar? Horst Richter findet im Marxschen Verständnis von Warenproduktion, Werttheorie und Markt hierfür kaum Anhaltspunkte. Sozialismus ist demnach Aufhebung der Warenwirtschaft. Jedoch brachte sozialistische Wirtschaftspolitik immer wieder Formen sozialistischer Marktwirtschaft hervor - Richter verweist auf die Neue Ökonomische Politik in Sowjetrußland ab 1921, Jörg Roesler auf das "Neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft" in der DDR in der zweiten Hälfte der 60er Jahre (NÖS). Es kann, so Roesler, einmal als Versuch betrachtet werden, zwei unvereinbare Prinzipien zusammenzubringen (Markt und Plan), andererseits als Konzept einer "aufgeklärten Planwirtschaft", als Alternative zu einer "Marktwirtschaft pur" (S. 92/93). Meinhardt Creydt zufolge hat sich auf der Linken weitgehend eine Affirmation des Marktes durchgesetzt. Er sieht "gravierende Probleme" beim Versuch, den Markt "sozial einzubetten" (S.105). Mit dem Verweis auf Jugoslawien und Ungarn zieht er ebenfalls historische Argumente heran. Die Programmdiskussion auf der Linken wird sich dieser Frage weiter widmen müssen. In den Kontext dieser Diskussion um "Marktsozialismus" gehört auch der Bericht von Dieter Janke von einem Leipziger Kolloquium.

Helmut Seidels und Frigga Haugs Beiträge sind Theorie und Politik bei Rosa Luxemburg aus Anlaß ihres 130. Geburtstages am 5. März d.J. gewidmet. Sie wurden auf einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen vorgetragen, über die Horst Richter informiert. Weitere Beiträge befassen sich mit "Materialismus in der Gesellschaftstheorie" (Gottfried Stiehler), mit der schrittweisen Revision der Geschichtsschreibung der Deutschen Bank (Eberhard Czichon) und mit Gefahren für Kriegsvermeidung und Friedenssicherung durch die Deregulierungspolitik (Lorenz Knorr). Ernst Theodor Mohl erinnert an den kürzlich verstorbenen Marx-Forscher Wolfgang Jahn aus Halle.

Die Zuschriften (Ingo Wagner, Maziar Jafroodi) beziehen sich auf die PDS-Programmdiskussion. Dem Interesse an dieser aktuellen Diskussion kommen wir auch durch eine Beilage mit Kommentaren zu dem jüngst veröffentlichten Programmentwurf der PDS entgegen, die erst nach Redaktionsschluß eingingen. Wir setzen damit eine Diskusion fort, an der sich seit Z 41 (März 2000) zahlreiche Autoren (Bischoff/Hüning, Münchow, Wehr, Heininger, Deppe, Klein, Adler, Heuer, Bischoff/Nick/Steinitz, Seppmann) beteiligt haben.

Als Schwerpunkt für Z 47 wurde "Linke in Europa" gewählt.

 
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