Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung
<<Zurück
 
 

Heft 44, Dezember 2000, 11. Jhrg

Editorial

Die Debatte über Rechtsextremismus, Neofaschismus und Rassismus hält derzeit unvermindert an. Sie hat auch in der Linken die Diskussion über aktuelle Ursachen, Erscheinungsformen und Wirkungen der "Neuen Rechten" intensiviert. Die ersten drei Beiträge dieses Heftes greifen aktuelle Aspekte des Themas auf. Christoph Butterwegge verfolgt die Debatte über den Rechtsextremismus in der Bundesrepublik bis zu ihren Wurzeln in den fünfziger Jahren, setzt sich mit den gängigsten Erklärungsmodellen auseinander und gibt einen kritischen Überblick zum Stand der Diskussion. Dabei erweisen sich nicht nur modernisierte totalitarismustheoretische Ansätze als irreführend, weil sie die Nähe des Rechtsextremismus zur bürgerlichen Mitte leugnen oder übersehen. Verharmlosend ist auch die Interpretation der Neuen Rechten als eine neue Form von "Jugendprotest", der die Folge sozialer Desintegration im modernen Kapitalismus sei. Ein anderer, nicht weniger irreführender Erklärungsansatz ist nach Butterwegge die These, der heutige Rechtsextremismus sei eine Gegenreaktion der Jugend auf die linke Protestgeneration der sechziger bis achtziger Jahre. Gerd Wiegel wirft drei Fragen auf: Hat sich die extreme Rechte in den letzten Jahren tatsächlich gewandelt, und wenn ja, wie? Wo liegen die Ursachen für die offenbar zunehmede Akzeptanz rechtsextremistischer Ideologiemomente in breiten Teilen der Bevölkerung? Und wie ist der momentane staatliche "Antifaschismus" einzuschätzen? Harald Werner setzt sich mit der Tendenz auseinander, Ursachen und Verbreitung des Rechtsextemismus vorwiegend oder ausschließlich in den östlichen Bundesländern zu suchen. Er zeigt, wie die ideologischen Versatzstücke des kalten Krieges auch heute noch genutzt werden, um das "Wiederauftauchen des Faschismus" nicht als innergesellschaftliches, sondern als äußeres Problem abzutun. Ohne Antwort auf die Frage nach den sozialökonomischen Wurzeln von Rechtsextremismus und Neofaschismus ist das Wesen der "Neuen Rechten" nicht wirklich zu verstehen.

Beiträge zur PDS-Programmdebtatte bilden den Schwerpunkt dieses Heftes. Wir setzen damit eine schon in Z 43 begonnene Debatte fort. Frank Deppe äußert sich skeptisch über das Unterfangen einer Programmdiskussion zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Sein Hauptargument: Sie wird automatisch zum Terrain der parteiinternen Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Strömungen, und: "der Berg an ungelösten Grundsatzfragen (ist), viel zu hoch, um schon jetzt einen Anspruch auf analytische und strategische Kohärenz glaubhaft und nach außen wirksam einzulösen." (S. 45/46) Deppe konstatiert, dass zentrale Fragen der Analyse des heutigen Kapitalismus in den Thesen der Programmkommission gar nicht aufgearbeitet werden. Dieter Klein, Leiter der Grundsatzkommission der PDS, entwickelt in seinem Beitrag das in der PDS umstrittene, für die Grundsatz- und Programm-Kommissionen tragende Moderne-Konzept. Er sieht dieses nicht im Gegensatz zu einer kritischen Kapitalismus-Analyse und plädiert für eine Politik der Reformalternative, die die in Widerspruch zur kapitalistischen Grundstruktur stehenden und über sie hinausweisenden "Entwicklungspotentiale" der Moderne - hierzu werden u.a. pluralistische Demokratie, Markt und Rechtsstaat gezählt - mit neuen Inhalten füllt und entfaltet, verstanden als "Verbindung von Moderne und Sozialismus" (S. 60). Skeptisch gegenüber einer solchen Fassung der kapitalistischen Realität äußert sich Hans Henning Adler. Er warnt davor, z.B. den ökologisch blinden und sozial ausgrenzenden Markt zum "Zivilisationsgewinn" hochzujubeln (S. 72). Aus der Sicht von Uwe-Jens Heuer hat 1989/90 eine neue Epoche, die des globalen, entfesselten Kapitalismus, begonnen. Er hält die Koppelung der Epochenbestimmung an den Begriff der Gesellschaftsformation ("Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus") heute für analytisch nicht tragfähig und sieht die Hauptaufgabe der marxistischen Linken bzw. Intellektuellen darin, antikapitalistisches Denken zu erhalten und wirksame antikapitalistische Analysen zu liefern. Die Veränderungen im modernen Kapitalismus des beginnenden 21. Jahrhunderts sind Gegenstand des Beitrags von Joachim Bischoff, Harry Nick und Klaus Steinitz (AG Wirtschaftspolitik der PDS). Diskutiert und auf ihre Bedeutung für sozialistische Politik abgeklopft werden Globalisierung (Übergang zu einem transnationalen, globalen Kapitalismus?), Internationale Finanzmärkte (Dominanz des Finanzkapitals?) und die fortschreitende soziale Polarisierung. Die Autoren plädieren dafür, die sozial Schwachen der Gesellschaft stärker zum Adressaten der Politik der PDS zu machen (soziale Gerechtigkeit), aber zugleich die "neue Vielfalt der Akteure" zu realisieren.

Insgesamt fällt auf, dass die sozialen Kräfteverhältnisse und mögliche Ansatzpunkte für ihre Veränderung in außerparlamentarischen, sozialen Bewegungen als Voraussetzung jeder gesellschaftlichen Veränderung in der Programmdiskussion stark unterbelichtet sind. Politisierung verläuft, wie Deppe zu Recht feststellt, unter den gegenwärtigen Bedingungen des bundesdeutschen Kapitalismus eben nicht spontan nach links, sondern eher nach rechts.

Das Heft bietet außerhalb der Schwerpunkte ein breites Spektrum weiterer Beiträge - Wohnungspolitik (Joachim Tesch), Stadtentwicklung (Jörn Janssen), marxistische Staatstheorie (Günther Wolfswinkler), die Interpretation der späten Marxschen Chemiestudien (Hubert Laitko) und ein Beitrag zur Fortsetzung der Dialektik-Diskussion von Renate Wahsner sind nur Stichworte. Dazu kommen wie üblich Berichte und Rezensionen.

Die angekündigten Beiträge von Metscher/Lee, Nyikos und Stamatis mussten angesichts der durch die aktuelle Diskussion ausgelösten Erweiterung des Themenspektrums um den Block "Neue Rechte" auf das nächste Heft verschoben werden - wir bitten um Verständnis.

Allen Leserinnen und Lesern von Z als Motto für das Neue Jahr ein aufmunterndes "lotta continua", was auch für die Redaktion gilt - verbunden mit den besten Wünschen!

 
Zum Seitenanfang