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Heft 39,
September 1999,
10. Jhrg
Editorial
Die deutsche Beteiligung am Nato-Krieg auf dem Balkan hat die politische Realität
der Bundesrepublik nachhaltig verändert. Die von Sozialdemokraten und Grünen
lange Zeit zumindest verbal hochgehaltene und mit der deutschen Geschichte begründete
Ablehnung militärischer Interventionen ist ad acta gelegt. Die Grünen
haben das militärpolitische Godesberg der SPD vom Dezember 1996 - Zustimmung
zur Beteiligung am SFOR-Einsatz in Bosnien - ihrerseits im Schnellverfahren nachgeholt.
Die Deutschen "werden weiter an die rauhe weltpolitische Wirklichkeit herangeführt"
(FAZ v. 29.6.1999).
In beiden Parteien verfährt man zunehmend nach der Devise "Ist der Ruf
erst ruiniert, lebt sichs völlig ungeniert". Die Bereitschaft zur weitergehenden
"Entrümpelung" der Programmatik und des Kanons politischer Prinzipien
und Wertorientierungen nimmt zu. "Entrümpelung" unter dem Stichwort
der Modernisierung heißt dabei aber nicht Einstellung auf neue Realitäten,
sondern - in klassengespaltenen Konkurrenz-Gesellschaften ist dies nun einmal
so - Umkehrung von Wertorientierungenund Zielen. Wenn in der SPD die Absage an
die "alte sozialdemokratische Umverteilungspolitik" propagiert wird,
so heißt das Forcierung der Umverteilungspolitik von unten nach oben. Das
SchröderBlair-Papier, die programmatischen Vorstöße der "Jungen"
und "Modernen" bei den Grünen und die ideologische Begleitmusik
zum teuersten Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik sind dafür eindeutige
Zeichen.
Es kann die Linke nicht gleichgültig lassen, daß und wie sich Sozialdemokratie
und Grüne gegenwärtig verändern. Zugleich erweist sich die bundesdeutsche
"Zivilgesellschaft" als wenig zivilisiert. Im Ernstfall - und der BalkanKrieg
war Ernstfall - schotten die Medien weitgehend ab und vergewaltigen die öffentliche
Meinung. Rund ein Drittel der Normalbevölkerung lehnte den Krieg laut Umfragen
ab, konnte sich aber in den Medien mit ihrer weitgehenden Kriegszustimmung und
-propaganda kaum Gehör verschaffen. Zwar fanden im Lande viele ermutigende
Protestveranstaltungen statt, aber der Vergleich zum Protest gegen den Irak-Krieg
zeigt, wie begrenzt nach wie vor die Mobilisierungskraft von Argumenten und organisatorischer
Infrastruktur der Linken ist. Um so wichtiger, daß der Protest im Herbst
mit Veranstaltungen u.a. des "Forum Gewerkschaften", des Kasseler Friedensforums
und von Initiativen für ein Europäisches Tribunal über den Nato-Krieg
weitergeht. Sie sind auch ein Stück Reorganisation linken Protests in der
Bundesrepublik.
"Z" bemüht sich, hierzu Argumente beizusteuern. Nach den Beiträgen
von Jürgen Reusch, Uwe-Jens Heuer und Peter Gowan in Z 38 - z.T. mehrfach
als Buch- und Zeitungsbeiträge nachgedruckt - analysiert Peter Scherer die
geopolitischen Bezüge und Hintergründe der US-Nato-Intervention. Der
Krieg gegen Jugoslawien hat exemplarischen Charakter. Er wurde weder um die lokale
Durchsetzung von Menschenrechten, noch um regionale Bodenschätze geführt,
sondern um die politisch-militärischen Rahmenbedingungen der kapitalistischen
Durchdringung des gesamten osteuropäisch-westasiatischen Raumes. Dieser Krieg
bedeutete in umfassendem Maße Bruch des Völkerrechts, und, was die
Bundesrepublik betrifft, Bruch des Verfassungsgebots der Friedensstaatlichkeit.
Dabei hätte, wie Gerhard Stuby betont, das Völkerrecht durchaus Handhabe
geboten, den Kosovo-Konflikt auf eine rechtskonforme Weise zu lösen. Auch
in dieser Hinsicht hat der Krieg die bundesrepublikanische Wirklichkeit gravierend
verändert.
Die kapitalistische Wirtschaft durchläuft gegenwärtig im internationalen
Rahmen eine intensive, geradezu fieberhafte Fusions- und Konzentrationswelle.
Das Konzernkapital der Bundesrepublik ist voll in diesen Prozeß einbezogen.
Hierbei dominiert die Zentralisation von Kapital, die Zusammenfassung und Umgruppierung
bestehender Kapitalmassen. Solche Konzentrations-Schübe sind in der Geschichte
des Kapitalismus mehrfach aufgetreten: Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts,
in der zweiten Hälfte der 20er Jahre, Mitte der 60er und in den 80er Jahren.
Der Schwerpunkt des vorliegenden Heftes ist der Analyse der gegenwärtigen
Konzentrationsprozesse gewidmet: Was ist ihre Besonderheit in der Geschichte des
Kapitalismus, welche Triebkräfte liegen ihnen zugrunde, inwieweit drücken
sich in ihnen Modifikationen der Bewegungsweise von Kapitalverwertung, -akkumulation
und Konkurrenz aus? Zugleich ist zu bedenken, daß die marxistische Kapitalismustheorie
in der Vergangenheit der Untersuchung der großen Zentralisationsbewegungen
des Kapitals wesentliche theoretische Konzeptionen abgewonnen hatte. Im Marxschen
"Kapital" ist sie ein Schlüsselprozeß für die "geschichtliche
Tendenz der kapitalistischen Akkumulation", Lenin entwickelte seine Monopolund
Imperialismustheorie in Auseinandersetzung mit der Konzentrationswelle Ende des
19./Anfang des 20. Jahrhunderts. Insofern stehen mit der Untersuchung des Konzentrations-
und Zentralisationsschubs am Ende des 20. Jahrhunderts auch "klassische"
Fragestellungen der Kapitalismustheorie zur Diskussion.
Redaktion und AutorInnen hatten sich im Vorfeld darauf verständigt, in diesem
Heft in erster Linie nach den Triebkräften und geschichtlichen Besonderheiten
der heute abrollenden Konzentrationsbewegung zu fragen. Dies sollte teils mit
Blick auf die Gesamtwirtschaft, teils mit Blick auf einzelne Branchen erfolgen.
Die ersten beiden Beiträge von Gretchen Binus und Joachim Bischoff gehen
den Prozeß mit Blick auf das Gesamtkapital an. Ob und inwieweit es sich
beim heutigen Zentralisationsprozeß um einen, wie Binus konstatiert, "Einschnitt
in der Entwicklung des Kapitalismus" handelt, bleibt im einzelnen umstritten.
Als vorantreibende Momente werden die Internationalisierungsprozesse ("Globalisierung")
und die Zwänge, die sich aus der technologischen Entwicklung und Überakkumulation
ergeben, hervorgehoben. Von besonderer Bedeutung für den Übergang zur
"schlanken Wertschöpfung" durch Konzernumbau und -fusionen ist
die Herausbildung eines neuen internationalen Finanzsystems mit wachsendem Gewicht
institutioneller Anleger (Fonds), abnehmender Bedeutung der Kredit-Funktion der
Banken und wachsendem Gewicht der Börse. Die Konzerne orientieren sich am
shareholder value und werden mit dem Ziel optimaler Börsengängigkeit
umgebaut. Klaus Peter Kisker fragt allgemeiner nach konzentrations- und zentralisationsbedingten
Einflüssen auf die kapitalistische Entwicklung (Konkurrenz, Preisentwicklung,
Profitratendifferenzierung) und setzt sich kritisch mit Monopoltheorie und Theorie
des staatsmonopolistischen Kapitalismus auseinander.
Die Konzentration im internationalen Finanzsektor (Banken, Investmentbanken, institutionelle
Anleger, Versicherungen etc.) untersucht Jörg Huffschmid. Er konstatiert
eine gewachsene Macht der Banken und anderer Finanzkonzerne über Wirtschaft
und Politik. Weitere Branchenanalysen betreffen die international ihre claims
absteckende und sich auf ein Dutzend dominierender Weltkonzerne reduzierende Automobilindustrie
als Beispiel einer "klassischen" Industriebranche (Dietmar Düe);
die mit Technologiesprüngen und raschen Umgruppierungen dynamischen High-Tech-Industrien
(Wolfgang Müller), die mit den Informations- und Kommunikationstechnologien
Basistechnologien des modernen Kapitalismus und der internationalen Konzernnetzwerke
liefern (Kabelnetzmonopolisten, IuK-Konzerne, Softwarebranche und PC-Hersteller);
sowie, mit speziellem Blick auf die Bundesrepublik, die auf der Basis und mit
diesen IuK-Technologien operierende Medienwirtschaft, die einen atemberaubenden
Konzentrationsprozeß durchmacht (Gerd Hautsch). Die Beiträge werfen
dabei weitergehende und z.T. - wie nicht anders zu erwarten - nach wie vor kontrovers
behandelte Fragen auf, so nach der Rolle von Monopol und Monopolisierung als theoretischen
Kategorien, nach der (gegenwärtig wenig untersuchten) Bedeutung des Staates
für den Konzentrations- und Wirtschaftsprozeß, nach den Auswirkungen
der Fusionswelle für Beschäftigte und Gewerkschaften u.a.m. Einzelaspekte
werden auch in weiteren Beiträgen dieses Heftes behandelt, so Beschäftigungsprobleme
von Eberhard Dähne und veränderte Bedingungen von Gewerkschaftsarbeit
in internationalisierten Großbetrieben von Uwe Fritsch und Heinrich Betz.
Auswirkungen von Kapitalkonzentration und Konzernpolitik auf die Dritte Welt berühren
die Beiträge von Heiko Wegmann und Dieter Boris.
Redaktionsmitteilung: Wir haben aus Kosten- und Flexibilitätsgründen
die Vertriebs- und Redaktionsräume getrennt. Die Redaktionsanschrift hat
sich damit geändert: Redaktion und Vertrieb von Z sind jetzt zu erreichen
per Tel. und Fax unter 069/53 05 44 06. Postanschrift: Postfach 500 936, D-60397
Frankfurt/M.
Z 40 (Dezember 1999) hat historische und aktuelle Aspekte von "Gerechtigkeit/soziale
Gerechtigkeit" als Schwerpunkt zum Gegenstand. An der Vorbereitung sind Werner
Goldschmidt und Hermann Klenner beteiligt. Das März-Heft 2000 wird sich mit
Umbrüchen der Lebensweise befassen. Angebote für beide Hefte sind willkommen!
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