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Heft 38, Juni 1999, 10. Jhrg

Editorial

Die zivile Ausprägung der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft stellt sich seit dem 24. März 1999 als ein bloßes Durchgangsstadium dar. Zur deutschen Normalität gehört es wieder, daß Deutschland Krieg führt. Der Schwerpunkt dieses Heftes ist dieser „deutschen Normalität" gewidmet und der Frage nach den Ursachen der NATO-Aggression gegen Jugoslawien.

Vor Jahrzehnten hatte Franz-Josef Strauß das Wort vom „wirtschaftlichen Riesen und politischen Zwerg" geprägt. Die deutsche Geschichte hing der Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs wie ein Bleigewicht am Fuß: die von den europäischen Nachbarn so schnell nicht vergessene faschistische Barbarei, der von Deutschland entfesselte zweite Weltkrieg, der Holocaust. Noch beim beherzten Zugriff der Bundesrepublik auf die DDR 1989/90 - und damit der Herstellung eines Stücks „deutscher Normalität", nämlich der nationalen Einheit - hatte sie es mit europäischen Nachbarn zu am, die im Grunde eine deutsche Zweistaatlichkeit lieber sahen als die „Wiedervereinigung". Dank den Amerikanern (und dank Gorbatschow) konnte dieser zögerliche Widerstand in Paris und London rasch überwunden werden. Damit waren die Herrschenden ihrem Ziel, im Globalisierungsgeschehen wieder „normal" agieren zu können, die politische Statur mit der wirtschaftlichen Stärke in Übereinstimmung zu bringen und dort Gleicher unter Gleichen zu sein, wo die Rangfolge nur nach der Stärke bestimmt wird, ein wesentliches Stück näher gekommen. Die neunziger Jahre waren vom Bemühen um eine solche „Normalität" geprägt: Ausweitung des Machteinflusses im Rahmen einer neuen Mittel- und Osteuropa-Politik (wozu der Aufbau einer deutschen Einflußzone auf dem Balkan mit der Herauslösung Kroatiens aus dem jugoslawischen Staatsverband gehörte), Ausweitung des Machteinflusses im Rahmen der europäischen Union, Neubestimmung des Auftrags der Bundeswehr und schrittweiser Übergang zum Einsatz deutschen Militärs im Ausland.

Am Ausgang der neunziger Jahre, beim symbolträchtigen Umzug des Bonner Parlaments in den modernisierten Reichstag, gehört Deutschland wieder zu den kriegführenden Mächten. Aber diese deutsche Normalität ist nur zu haben um den Preis einer subalternen Unterordnung im Rahmen der NATO, einer Unterordnung unter die Pax Americana, die besonders beflissen von der um den Nachweis ihres „standings" und ihrer Bündnistreue bemühten „rot-grünen" Koalition - Joschka Fischer als Schoßhund Madeleine Albrights - demonstriert wurde. Beileibe kein deutscher Sonderweg. Denn der hätte in der Einhaltung des Völkerrechts und im Verzicht auf Teilnahme an der NATO-Aggression bestanden.

Der Übergang Deutschlands zum Status einer normalen kriegführenden Großmacht ist ohne innere ideologische Konvulsionen undenkbar. Seit dem Historikerstreit dreht sich die Auseinandersetzung um die Revision des Geschichtsbildes und die schrittweise Aufkündigung von Essentials des Nachkriegskonsenses. Dazu gehörte auch die Akzeptanz einer besonderen Verantwortung Deutschlands auf Grund seiner Geschichte bis hin zu der noch im 2 + 4-Vertrag ausdrücklich festgehaltenen Verpflichtung, von deutschem Boden dürfe kein Krieg ausgehen. Jürgen Reusch zeigt, daß die von der FAZ gesteuerte Diskussion um Martin Walser zu dieser „Normalisierung" gehört. Der Kern dieser Diskussion ist das Dementi des Brechtschen Satzes „Der Schoß ist fruchtbar noch". Der kühne Blick in die Zukunft der Berliner Republik schließt eine Relativierung der faschistischen Vergangenheit Deutschlands ein. Das Vergangene war schrecklich, aber es ist vergangen, und Deutschland hat ein Recht darauf, als „normaler" Staat damit nun nicht mehr belästigt zu werden. Daß die Politik der Bundesrepublik damit auch gleich Ernst gemacht hat, zeigt der Beitrag von Uwe-Jens Heuer. Der mit deutscher Beteiligung geführte Krieg gegen Jugoslawien bedeutet die offene Aufhebung des antifaschistischen Völkerrechts, wie es nach 1945 definiert wurde. Die Berliner Republik ist, so zeigt Heuer, integriert in eine Strategie, die ein neues Zivilisationsmodell anstrebt. Sein Kern ist die rechtsfreie Hegemonie des Imperialismus, heute in der Form der Pax Americana, exekutiert von der NATO. Es ist das militärische Gegenstück zur neoliberalen Globalisierung.

Der Krieg gegen Jugoslawien wird mit der Notwendigkeit einer gewaltsamen Implementierung der Menschenrechte begründet; dies legitimiere den Bruch des Völkerrechts und den Übergang zum Faustrecht - eine Position, der sich auch Jürgen Habermas mit einigem Wenn und Aber angeschlossen hat. Wer so argumentiert, muß nicht nur die Schrecken der inneren Auseinandersetzung in Jugoslawien und der nationalistischen Mobilisierung der Völker Jugoslawiens gegeneinander zu einem neuen Faschismus stilisieren (Milosevic als Hitler unserer Tage), er darf auch nicht die Frage nach der Geschichte des zum Krieg eskalierten Konflikts in und um Jugoslawien stellen und schon gar nicht die nach den Interessen der intervenierenden Großmächte. Denn hier zeigt sich, wie Peter Gowan in einer subtilen Analyse der Hintergründe der jugoslawischen Tragödie berichtet, daß die heute im Namen des Völkerrechts in Jugoslawien bombadierenden Mächte zugleich jene sind, die durch ihre ökonomische und politische Intervention auf dem Balkan das Land destabilisiert und die Bedingungen geschaffen haben, die zur Eskalation des Nationalismus, zu Massenvertreibungen und eskalierendem Bürgerkrieg geführt haben. Hier liegen die Wurzeln heutiger imperalistischer Aggression.

Wir setzen den in Z 37 begonnen Schwerpunkt „Arbeit und Politik" in diesem Heft fort. Im Mittelpunkt des nächsten Heftes werden Beiträge zum Konzernumbau und zu den internationalen Konzernfusionen stehen.

 
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