Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung
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Heft 34, Juni 1998, 09. Jhrg

Editorial

Das vorliegende Heft beschäftigt sich mit Ursachen, Funktionen und Auswirkungen der wachsenden Staatsverschuldung und der "Verschlankung" des Staates.

Eindämmung der Staatsverschuldung, Umverteilung von unten nach oben, "Rückführung der Soziallasten", Liquidierung des Gemeineigentums, "schlanker Staat" - diese Stichworte charakterisieren seit Ende der siebziger Jahre verfolgte Projekte des Neoliberalismus, die nicht nur den sozialpolitischen Umbau der Bundesrepublik in den zurückliegenden Jahren geprägt haben, sondern in ihrer Bedeutung auch über das Wahljahr 1998 hinausreichen. Denn es gibt, wie die Dinge liegen, wenig Anzeichen dafür, daß die allenthalben konstatierte Erosion des Neoliberalismus, seine faktische Desavouierung durch Massenarbeitslosigkeit, soziale Polarisierung und aufgestaute Zukunftsprobleme, zu einem grundlegenden Politikwechsel im Herbst dieses Jahres führen wird.

Wie für das Juni-Heft üblich, stellen wir den jährlichen Konjunkturbericht voran. Hans Joachim Höhme gibt eine erste Einschätzung der Auswirkungen der Asienkrise auf die Weltwirtschaft und auf die Konjunkturentwicklung in Deutschland. Es sind derzeit keine Anzeichen für eine Belebung auszumachen, die zu einer Besserung auf dem Arbeitsmarkt führen könnte. Im Falle eines Regierungswechsels würden sich jedoch Spielräume - auch mit Blick auf die europäische Ebene - bieten, die für eine Stärkung der Massenkaufkraft, Ankurbelung der Konjunktur und Ausweitung der Beschäftigung genutzt werden könnten - vorausgesetzt, es kommt zu einer wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Kursänderung.

In der zurückliegenden Dekade ist die Staatsverschuldung der entwickelten kapitalistischen Länder stark gestiegen. Mit der öffentlichen Debatte um die Maastricht-Kriterien und die Einführung des Euro sind die Verschuldungsprobleme stärker ins allgemeine Interesse gerückt. Klaus Steinitz beleuchtet die Entwicklung der öffentlichen Schulden in der Bundesrepublik. Sie lagen 1997/98 - im Vergleich zu 1990 - mehr als doppelt so hoch. Steinitz geht den Zusammenhängen zwischen Verschuldung, wirtschaftlichen Krisenerscheinungen und sozialen Erosionsprozessen nach. Was die Konsequenzen für eine linke Wirtschaftspolitik betrifft - hier gibt es kontroverse Positionen - vertritt Steinitz die Auffassung, eine linke Werschuldungspolitik" für mehr Arbeitsplätze und soziale Standards solle nur für solche Aufgaben erfolgen, die perspektivisch auch zu zusätzlichen volkswirtschaftlichen Erträgen führen und somit Selbstfinanzierungseffekte erzeugen. Eberhard Dähne gibt eine materialreiche Übersicht zur Entwicklung und zum Stand der öffentlichen Verschuldung (Bund, Länder, Kommunen) in Deutschland. Er belegt schlüssig, wie die neoliberale Steuerpolitik die Reichen entlastet, während öffentliche Ausgaben zunehmend auf Kosten der Arbeiter und Angestellten finanziert werden. Die Erosion der Sozialsysteme belegt Dähne am Beispiel der Renten- und Krankenversicherung. Joachim Bischoff verweist auf die Umverteilungseffekte, die durch die Staatsverschuldung und die neoliberalistische Sparpolitik in den Sozialhaushalten bewirkt werden. Die Austeritätspolitik schwächt die Akkumulationsdynamik und fördert dadurch zugleich Massenarbeitslosigkeit und fmanzkapitalistische Spekulation. Bischoff verweist auf die Gefahr einer deflatorischen Abwärtsspirale. Die Alternative liegt im Eingriff in die Verteilungsverhältnisse zugunsten von Arbeitseinkommen und binnenwirtschaftlicher Nachfrage.

Die Liquidierung des öffentlichen Eigentums konnte in der letzten Dekade besondere Triumphe feiern - im Westen durch zahlreiche Privatisierungen auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene, im Osten durch die Beseitigung des Volkseigentums als Hauptinhalt der Angliederung der ehemaligen DDR. Für Hans Luft und Harry Nick muß es eine zentrale Forderung der Linken bleiben, den öffentlichen Sektor gegenüber dem privaten Kapital auszuweiten. Aber zugleich setzen sie sich für einen differenzierten Umgang mit den Eigentumskategorien ein. Die Entwicklung des Realsozialismus und das Scheitern des primär als staatliches Eigentum organisierten Volkseigentums in der DDR sind die historischen Lehrstücke, anhand derer sie ihre Argumente entwickeln.

Das Projekt des "schlanken Staats" reicht im Hinblick auf die Ziele einer "Entschlackung" der öffentlichen Verwaltungen, der Privatisierung von öffentlichem Eigentum, der Deregulierung und Rücknahme staatlicher Beschränkungen der kapitalistischen Marktgesetze bis in die zweite Hälfte der siebziger Jahre zurück. Nach Maritta Böttcher und Ekkehard Lieberam zielt dieses Konzept zwar nicht auf völlige Demontage des Sozialstaats, wohl aber auf dessen Zurückdrängung auf ein deutlich niedrigeres Niveau. Ihre Bilanz zeigt, daß es sich hier keineswegs (nur) um politische Rhetorik handelt, sondern daß beachtliche Schritte auf dem Weg zum "schlanken Staat" getan worden sind. Michael Felder untersucht die aktuellen Strategien der Verwaltungsmodernisierung, die vor allem unter dem Stichwort New Public Management firmieren. Er erläutert kritisch, wie die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente in die verschiedenen Ebenen der Verwaltung, insbesondere der Kommunalverwaltung, unter dem Stichwort der Entbürokratisierung den Stellenwert sozialer Aufgaben in deren Tätigkeit untergräbt. Olaf Köppe betrachtet bei seiner Analyse des Um- und Abbaus des Sozialstaats den Beitrag des Bundesverfassungsgerichts zur Veränderung der Steuerrichtlinien. Er zeigt, wie die "neue Steuerrechtslehre" als Pendant zu Strategien des neokonservativen Umbaus des Leistungsangebots durchgesetzt wird. Auch er lenkt damit den Blick auf Einnahmeseite des Staates, die zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung und zugunsten der Großverdiener umgestaltet wird.

Die laufenden Feiern zur 1848er Revolution in Deutschland sind Anlaß für eine kritische Bilanz der Rezeption der 48er Revolution in der DDR und der BRD. Helmut Bleiber unterstreicht die gegensätzlichen Ansatz- und Ausgangspunkte in der Geschichtsforschung beider Staaten in der Vergangenheit - Hervorhebung des Volksbewegungscharakters der Märzrevolution in der DDR, der bürgerlichen Paulskirchentradition in der bundesdeutschen Historiographie -, aber auch die im Fortgang der Forschung und im Generationenwechsel der Historiker zu beobachtenden Differenzierung und Annäherung der unterschiedlichen Sichtweisen. Für die aktuellen Feierlichkeiten wird mit Fixierung auf die Paulskirchentradition ein Rückfall der öffentlichen Präsentation der 48er-Geschichte hinter den Stand der auch in der alten BRD erreichten Forschung konstatiert.

Karl Marx wurde anläßlich des 150. Jahrestages des Kommunistischen Manifests in der bürgerlichen Presse als Prophet und Bewunderer der kapitalistischen Globalisierung anerkennend gewürdigt. Peter Strutynski betrachtet dagegen die Resultate der Globalisierung in der "postbipolaren Ära" aus dem Blickwinkel des Manifests und konstatiert ein "kontradiktorisches Oktogon" globaler Konfliktfelder. Im zweiten Teil seines in Z 33 begonnen Beitrags dementiert Michael Krätke entschieden Ökonomismus-Vorwürfe gegenüber der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie.

Berichte über Tagungen der Linken betreffen Veranstaltungen zum 150. Jahrestag des Kommunistischen Manifest, zur Russischen Revolution 1917, über den marxistischen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Werner Hofmann, zu rechtsextremen Tendenzen an den bundesdeutschen Hochschulen und zur Diskussion um Globalisierung. Wir beabsichtigen, im nächsten Heft die Berichterstattung zu Veranstaltungen aus Anlaß des 150. Manifest-Jubiläums fortzusetzen und hoffen, damit zu einem Einblick in das Denken und den Problemstand der verschiedenen Richtungen der marxistisch orientierten Linken in der Bundesrepublik und im Ausland beitragen zu können. Das bedeutendste Ereignis wird die bei Auslieferung dieses Heftes bereits abgeschlossene Tagung von "Espace Marx" in Paris (13.16. Mai) sein, zu der sich ein breites Spektrum von Forschern der internationalen Linken angemeldet hat. Es ist zu erwarten, daß von dieser Tagung in ähnlicher Weise wie von den Tagungen von "Actuel Marx", über die in Z in den letzten Jahrgängen ausführlich berichtet wurde, Impulse ausgehen werden.

Themen, die in der längerfristigen Planung der Redaktion für Z "obenan" stehen, betreffen u.a. Zukunft der Arbeit, Globalisierung und Peripherie, die historischen Daten 1918/19 und 1949 und den Problemkomplex Bedürfnisentwickung/Konsumtionsstruktur. Angebote und Anregungen aus dem Kreis von LeserInnen und AutorInnen von Z sind willkommen!

Am 6. Juli 1998 wird der 100. Geburtstag von Hanns Eisler gefeiert. An ihn, den kongenialen Weggefährten Brechts, den Komponisten weltbewegender Lieder der Arbeiterbewegung und marxistischen Theoretiker, soll mit dem 6. Gedicht aus seinen "Ernsten Gesängen" erinnert werden (siehe Umschlag).

 
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