Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung
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Heft 33, März 1998, 09. Jhrg

Editorial

Zu den bedeutenden Erinnerungstagen der Linken, die Anfang 1998 im Kalender stehen, gehört der 150. Jahrestag der Veröffentlichung des "Kommunistischen Manifests". Es erschien fast zeitgleich mit dem Ausbruch der 1848er Revolution. Das Kommunistische Manifest ist das am weitesten verbreitete politische Dokument der "Moderne", also der durch die Heraufkunft der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft geprägten Epoche, die frühe, von ihren Autoren durchaus nicht für Jahrzehnte gedachte Programmschrift der radikalen Alternative zu dieser bürgerlichen Gesellschaft und als solche prägend für Generationen von Sozialisten und Kommunisten. Ihm ist das vorliegende Heft gewidmet.

Bertolt Brecht, dessen am 10. Februar dieses Jahres begangener 100. Geburtstag ein bemerkenswertes Echo ausgelöst hat, nannte das Manifest "als pamphlet selbst ein kunstwerk", und er beabsichtigte zeitlebens, seine "propagandistische wirkung ... durch ein aufheben des pamphletischen charakters ... zu erneuern": in Gestalt eines großen Lehrgedichts "in der respektablen versart" Lukrez'scher Hexameter. Wie wir durch Walter Benjamin wissen, verfolgte er schon seit dem Exil der dreißiger Jahre das Projekt eines solchen Lehrgedichts, das - wie es in einem Brief an Karl Korsch vom März 1945 heißt - "die unnatur der bürgerlichen verhältnisse" thematisieren sollte. "das kernstück bildet das manifest" Ein vorangestellter erster Gesang sollte von den Schwierigkeiten handeln, die es bereitet, sich in der Natur der Gesellschaft zurechtzufinden, ein letzter die ungeheuerlich gesteigerte Barbarisierung des Kapitalismus vorführen. Dieses von Brecht immer wieder aufgenommene Projekt ist Fragment geblieben. Es lohnt der Lektüre.

Die Beiträge zum Schwerpunkt des vorliegenden Heftes werden mit einem Bericht von Rolf Hecker über die internationale Marx-Engels-Forschung und -Edition in den neunziger Jahren eröffnet. Trotz der weitgehenden "Abwicklung" der institutionalisierten Marx-Engels-Forschung besonders in der ehemaligen UdSSR und DDR ist die Editionsarbeit nicht vollständig zum Erliegen gekommen und zugleich findet international eine lebhafte und, wie Hecker betont, kaum zu überschauende Marx-Engels-MarxismusDiskussion statt.

Thomas Kuczynski ist Autor des bisher ausführlichsten Editionsberichts zum "Kommunistischen Manifest" (vgl. die Rezension von Walter Schmidt in Z 26, Juni 1996). Er liefert am Beispiel der Präambel eine erste Skizze für einen Kommentar zum "Manifest", der dessen Ansatz und Methode sowohl in ihrem real- und ideenhistorischen Kontext darstellt als auch im Licht der neuesten Geschichte zu analysieren hätte. Georg Fülberth charakterisiert das "Manifest" als eine Frühschrift. Marx und Engels hatten se lbs 1872 angemerkt, daß "dies Programm stellenweise veraltet" ist und als "ein geschichtliches Dokument" zu betrachten sei, "an dem zu ändern wir uns nicht mehr das Recht zuschreiben". Das Abstreifen der historisch-zeitgebundenen Aspekte läßt die theoretischen Grundfragen und -aussagen deutlicher hervortreten - Fülberth nennt die Grundsätze des Historischen Materialismus und die geschichtliche Rolle des Proletariats sowie die Eigentumsfrage -, die kritisch zu prüfen sind.

Mit Michael Zanders Beitrag wird eine Reihe von Aufsätzen eingeleitet, die sich der Fragestellung zuwenden, wie unter heutigen Bedingungen und angesichts der historischen Erfahrungen 150 Jahre nach dem Kommunistischen Manifest sozialistisch-kommunistische Zukunftsvorstellungen aussehen bzw. entwickelt werden können. Die Autoren bieten ein Spektrum sehr unterschiedlicher Sichtweisen und theoretischer Argumente, die z.T. in deutlichem Widerspruch zueinander stehen. Es ist angesichts der Notwendigkeit, die Umbrüche im Kapitalismus und die historischen Erfahrungen des gescheiterten Realsozialismus zu verarbeiten, in der Tat, wie Lucien Sève in diesem Zusammenhang feststellt, noch ein weiter Weg zur Rekonstruktion von breiter getragenen sozialistisch-kommunistischen Zukunftsvorstellungen. "Es wird noch lange dauern", schreibt er mit Bezug auf die französische Diskussion, "bis sich aus der fruchtbaren Vielfalt der Ansätze genügend gemeinsame Projekte ergeben, um einer neuen, auf die Überwindung des Kapitalismus ausgerichteten historischen Perspektive und politischen Bewegung Kohärenz zu verleihen."

Michael Zander greift Utopie und Utopie-Kritik bei Marx und Engels auf und plädiert für eine kommunalsozialistische Perspektive im Sinne einer "Vorwegnahme des Sozialismus durch lokale Projekte", durch die die kapitalistischen Verhältnisse zumindest in einzelnen Aspekten überwunden werden sollen. Adam Schaff prüft unter dem Titel "Die neue Linke sucht einen neuen Sozialismus" die aus seiner Sicht traditionell essentiellen Thesen der Sozialisten auf ihre Zukunftsfähigkeit: Notwendigkeit der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln; Planung statt Markt-Anarchie; Absterben des Staates; Durchsetzung von Solidarität in der Gesellschaft. Er kommt zum Fazit, daß (mit Ausnahme des letzteren) alle Grundsätze unter den Gegebenheiten der heutigen industriellen Revolution Veränderungen durchgemacht haben bzw. im Rahmen der Konzeption eines neuen Sozialismus zu revidieren sind. Gottfried Stiehler ("Kommunismus - Ideal und praktische Bewegung") behandelt kritisch die Auffassungen von Marx und Engels zum Kommunismus - das Hauptproblem wird in ihrem Verständnis von Staat und zentraler Planung der Gesellschaft verortet - und fragt, wie ein mit dem Projekt Kommunismus in Beziehung stehender Gesellschaftsentwurf theoretisch auszuarbeiten und praktisch auf den Weg zu bringen wäre. Lucien Sève vertritt mit Nachdruck die These, "daß das, was im Osten untergegangen ist, gerade der Sozialismus ist, während die kommunistische Zielvorstellung in dem strengen Sinne, den Marx ihr gegeben hat, dringlicher ist denn je". Er pocht darauf, daß die Vergesellschaftung der großen Produktions- und Tauschmittel zwar eine Schlüsselfrage der gesellschaftlichen Umgestaltung ist, aber für sich genommen noch keinen entscheidenden Schritt zur Uberwindung der kapitalistischen Produktionsweise darstellt, wenn sie nicht zu neuen Formen der gesellschaftlichen Aneignung führt. Der heutige Kapitalismus entfaltet sich, so HJ. Krysmanski, in einer "computervermittelten Logik". Damit wird die Ebene der sich herausbildenden medialen Weltkultur - der großen Kommunikations- und Informationsnetze - zu einer Sphäre, in der Kapitalverwertungsinteressen und "antisystemische Bewegungen" um hegemonialen Einfluß kämpfen, in der also auch der Kampf um eine kommunistische Utopie zu führen ist.

Im In- und Ausland werden im nächsten Halbjahr eine ganze Reihe Diskussionstagungen zum "Kommunistischen Manifest" stattfinden - u.a. in Wuppertal (PDS sowie Marx-Engels-Stiftung), Berlin (DKP), Frankfurt/M. (spw/Sozialismus), in Paris (Espace Marx), in Havanna und Moskau. Wir hoffen, in den nächsten Heften von Z einen Einblick in Themen und Thesen der Diskussionen geben zu können.

Außerhalb. des Schwerpunkts werden verschiedene Diskussionsstränge fortgeführt, die schon in früheren Heften von Z eine Rolle gespielt haben. Michael Krätke polemisiert gegen den Ökonomismus-Vorwurf gegenüber der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie (Vortrag auf der Hannoveraner Marxismus-Tagung 1997). Horst Heininger setzt seine Untersuchung zur Aktualität der SMK-Theorie mit einer Kritik des Fordismus-Konzepts fort. Gretchen Binus analysiert aktuelle Tendenzen der internationalen Kapitalkonzentration. Monika Domkes Beitrag ist der zweite Teil ihrer Ausführungen zum Verhältnis von Klassen- und Geschlechterfrage (Teil I in Z 32). Eine Analyse der chinesischen Entwicklung und des letzten Parteitags der chinesischen KP gibt Helmut Peters. Manfred Baldeweg knüpft an seine Überlegungen über gesellschaftliche Wertschöpfung und Wertverteilung in Z 27 an.

Die im letzten Heft veröffentlichte Replik von Reinhard Schweicher auf den Beitrag von Wemer Seppmann in Z 31 hat lebhafte Kommentare von Robert Steigerwald, Bernhard Walpen und von Werner Seppmann selbst ausgelöst. Da dabei auch auf das Editorial von Z 32 Bezug genommen wird, dazu der Hinweis: Z pflegt eine offene Diskussion unter marxistischen Linken. "Ex-cathedra"-Verlautbarungen der Redaktion gibt es bei uns nicht. Wenn es hieß, Schweicher plädiere für einen "dialektischeren Umgang mit der postmodernen Philosophie", so war und ist damit ein Umgang mit Texten postmoderner Philosophen gemeint, der sie auf ihre innere Widersprüchlichkeit befragt, statt sie unterschiedslos als Irrationalismus zu interpretieren. Dies ist sicher etwas anderes als ein Aufheben der postmodernen Philosophie in einem erneuerten Marxismus.

Z 34 erscheint im Juni, also in der heißen Phase des Wahlkampfs. Staatsverschuldung, öffentlicher Sektor, Ansatzpunkte für eine Alternativpolitik sollen in dem Heft thematisiert werden. Das darauffolgende Heft setzt sich in seinem Schwerpunkt mit der Jugend und ihren Problemen auseinander. Anregungen und Angebote nimmt die Redaktion gern entgegen!

 
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