Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung
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Heft 30, Juni 1997, 08. Jhrg

Editorial

Das Stück, das im März dieses Jahres im Ruhrgebiet gegeben wurde, paßte so ganz zum Motto der diesjährigen Ruhrfestspiele: "Terror der Okonomie". Der unter der Regie.von Krupps Stahlchef Cromme inszenierte Versuch der feindlichen Übernahme von Thyssen machte über Nacht Tausende, die sonst lieber "Tatort" oder "Schreinemakers" sehen, zu Aktiven auf der realen Bühne des Klassenkampfs. Dabei kamen neben den Stahlbossen und Politikern plötzlich auch jene Charaktermasken wieder ins Rampenlicht, die als dezente Ratgeber und Abkassierer lieber im Halbdunkel der Kulissen geblieben wären, die Chefs der Großbanken. Da im realen Leben anders als auf den Brettern, die die Welt doch nur bedeuten, das Drehbuch nicht von vornherein festgeschrieben ist, war mit dem Auftreten der Stahlarbeiter auch ein unvorhergesehener Szenenwechsel ins Frankfurter Bankenviertel vor. die glitzernde Kulisse der Deutschen Bank angesagt. Aus der feindlichen Übernahme wurde der mit einigen sozialen Zugeständnissen verbundene Deal der Konzerne unter der Obhut der nordrhein westfälischen Landesregierung.

Der Auftritt der Stahlarbeiter war wie kurz zuvor der Einzug der Bergarbeiter in das Bonner Regierungsviertel und die demonstrative Bauplatzbesetzung durch die Bauarbeiter in Berlin freilich nicht von langer Dauer, und sie alle haben, durch ihre Interessen zum Handeln gezwungen, den "plot" des Stücks dennoch nicht über den Haufen werfen können. Dieses Stück wird inszeniert nach den neoliberalen Regeln von "Globalisierung", "Standortsicherung" und "shareholder value", und es ist nicht zu erwarten, daß es so schnell aus dem Spielplan genommen wird. Bei der Schlußrunde der Hannoveraner Marxismus Tagung kam als eine Hauptschwäche der unter dem Druck von oben in Gang gekommenen sozialen Bewegungen zur Sprache, daß die politische Linke der Bundesrepublik den Inszenierungen der Herrschenden derzeit keinen eingriffsfähigen dramaturgischen Entwurf entgegenzusetzen hat.

Die Ideologen des "Blocks an der Macht" registrieren dies mit einer Erleichterung, die das Eingeständnis durchscheinen läßt, daß es womöglich auch anders kommen könnte: "Zwischen Montag und Freitag kehrten Klassenkampf und Krieg zurück in die deutsche Wirklichkeit und niemand läutete die Sturmglocke." So die FAZ am 18. März mit Blick auf die Arbeiterdemonstrationen und das "erste 'richtige' Gefecht" der Bundeswehr im Ausland, bei dem auf Albaner geschossen wurde. Eben dies ist aber auch die knappe Beschreibung der in den letzten Monaten weiter fortgeschrittenen Veränderung der bundesdeutschen Szene, auf die die Linke sich einzustellen hat. Dabei spielt die europäische Ebene eine zunehmende Rolle, weil von ihr siehe Maastricht wesentliche Rückwirkungen auf die Binnenverhältnisse ausgehen. Dies könnte auch für die insgesamt deutlich belebten sozialen Bewegungen gelten, die aber hier wie dort, auf nationaler wie europäischer Ebene, bisher nur getrennt marschieren ohne zu gemeinsamer Aktion zu finden. Beim Erscheinen dieser Ausgabe von Z werden auch die Wahlergebnisse aus Frankreich vorliegen, die zeigen, ob von außen ein zusätzlicher Impuls zu erwarten ist, um dem neoliberalen Kurs gewisse Grenzen zu setzen, oder ob auch unter dem neuen Führungspersonal die große Richtung beibehalten wird, wie dies unter Labours jetzt arg verblichener "Red Flag" gelten dürfte.

In dieser 30. Ausgabe von Z berichten wir zu großen Teilen über die Hannoveraner Tagung "Marxismus an der Schwelle zum 21. Jahrhundert Bilanz und Perspektive" (14. 16.3.1997). Zu der Tagung hatte, wie die Leserinnen und Leser von Z wissen, ein Initiatorenkreis eingeladen (Joachim Bischoff, Frank Deppe, Uwe Jens Heuer, Heinz Jung, Fred Schmid) und ein größerer Kreis von linken Zeitschriften, Initiativen und Arbeitskreisen aufgerufen. Es kommen die Eröffnungsbeiträge von Ernst Engelberg, Frank Deppe und Oskar Negt zum Abdruck, und es wird über die Plenardiskussionen berichtet. Ein wesentlicher Bestandteil der Tagung waren die dreißig Workshops. Aus einigen werden in diesem Heft Vorträge und Einleitungsstatements dokumentiert so die Beiträge von Morus Markard, Ernst Theodor Mohl, Uwe Jens Heuer/Ekkehard Lieberam , über einige wird berichtet.

Insgesamt wird man diese erste bundesweite Tagung der marxistischen Linken seit 1989/90 angesichts des Spektrums der beteiligten Richtungen, des guten Besuchs, des insgesamt solidarischen Diskussionsklimas und der keineswegs gewöhnlichen "Ost-West-Verzahnung" als einen Erfolg betrachten können. Gleichwohl werden sich alle Beteiligten auch der offenen Fragen und theoretischen Schwächen bewußt sein, die gleichfalls zur Bilanz dieser Tagung gehören und die Anregung für weitere Arbeit sein sollten. Auch hierauf wird im Tagungsbericht eingegangen. Wir werden im nächsten Heft die Berichterstattung fortsetzen. Zugleich werden Beiträge u.a. in "sozialismus" erscheinen, und der VSA Verlag plant eine durch Hannover angeregte Publikation, die Beiträge der Tagung einschließt. Die "Marxistischen Blätter" hatten bereits zur Tagung selbst ein Heft (Nr. 2/ 1997) vorgelegt, das gleichfalls zur Ausleuchtung des Tagungsthemas aus internationaler Sicht beiträgt.

Die politische Großwetterlage wird in der Regel in der Wirtschaft gemacht. Die Konjunkturanalyse von Jochen Höhme, mit der das Heft eröffnet wird, tangiert auch das wirtschaftspolitische Terrain der nächsten Zeit und stellt damit schon einen ersten Beitrag zum Vorfeld der Bundestagswahlen dar. Wir setzen den in Z 29 begonnenen Schwerpunkt "Der rechte Rechtsstaat" mit Beiträgen von Michael Benjamin, Wolfgang Richter und Gerhard Stuby fort, die der Rechtstaatswirklichkeit und dem Problem der Menschenrechte gewidmet sind. Die weiteren Beiträge von Gottfried Stiehler, Anneliese Braun und Maus Steinitz gruppieren sich um Fragen der gesellschaftlichen Wert , Arbeits und Sozialbeziehungen. Unter "Berichte und Diskussionen" bringen wir mehrere Beiträge zum Buch von Ingrao/Rossanda, zur Gramsci Diskussion, zur Potsdamer Tagung "Wirtschaft von unten" sowie eine Nachbetrachtung zur DGB Programmdiskussion.

Das nächste Heft von Z wird "Ökonomische Aspekte des modernen Kapitalismus" zum Gegenstand haben. Horst Heininger und Jörg Huffschmid bereiten den Schwerpunkt vor.

Mit großer Betroffenheit müssen wir den so frühen Tod von Wanja von Heiseler am 11. April 1997 mitteilen. 1938 geboren, gehörte Wanja von Heiseler zu jener Generation von Studenten der Bundesrepublik, die über den SDS, die "deutschlandpolitische Diskussion" und den beginnenden Vietnamkrieg in den sechziger Jahren Kommunisten wurden. Er war beteiligt an der Herausgabe der "Marxistischen Blätter" vor 1968, Mitarbeiter des "Instituts für Marxistische Studien und Forschungen" während der gesamten Arbeitszeit des Instituts (1968 1989) und einer der Mitherausgeber und Redakteure von Z bis 1993. So breit Wanja von Heiseler Interessenspektrum war, so sehr fesselten ihn als Soziologen, der zugleich Geschichte studiert hatte, soziale Bewegungen, das Handeln und Denken sozialer Gruppen und Klassen. Ihnen waren seine wichtigsten Studien im Rahmen des IMSF und der DKP gewidmet. Nach 1990 engagierte er sich in der PDS, deren Programmkommission er zeitweilig angehörte. Wir verlieren mit ihm einen weltoffenen, gebildeten, gastfreundlichen und in seiner zugleich sympathischen wie gelegentlich liebenswert chaotischen Umgangs und Arbeitsweise oft entwaffnend freundlichen Genossen und Arbeitskollegen.

 
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