Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung
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Heft 27, September 1996, 07. Jhrg

Editorial

Die Resonanz auf die Bonner DGB‑Großkundgebung gegen den sozialen Kahlschlag vom Juni 1996 hat wieder einmal eine alte Erfahrung der Klassengesellschaft bestätigt: Der Kurswert der Gewerkschaften wird einzig und allein von ihrer Mobilisierungsfähigkeit bestimmt. Und das kann auch nicht anders sein. Denn antagonistische Kräfteverhältnisse finden immer nur zur Fixierung zeitweiliger Waffenstillstandslinien. Der Versuch der DGB‑Führung, die Politik als Diskurs‑Arena zu deuten und sich Kapital und Kabinett mit sozialfriedlichem "Bündnis für Arbeit" als standortbewußter Sozialpartner zu präsentieren und gefällig zu erweisen, endete als totaler Schiffbruch. Nach der Funktionalisierung des "guten Willens" durch Regierung und Unternehmerverbände und der fortlaufenden öffentlichen Abstufung blieb nur noch der "alte" Weg des Klassenkampfes. Freilich ist damit noch nichts verändert. Ja es kann noch nicht einmal von Kurskor­rekturen die Rede sein. Im Gegenteil, es vergeht kaum eine Woche, in der der Katalog sozialer Grausamkeiten nicht mit neuen Punkten komplettiert würde. Im Herbst wird es sich also zeigen müssen, wie weit die Kraft der Arbeiterklasse und der Gewerkschaften reicht. Aber es steht schon jetzt fest, daß die aktuelle Auslotung und Erörterung der Klassenverhältnisse alles andere als antiquiert ist.

Z 27 hat drei Themenkomplexe, also gewissermaßen eine Triadenstruktur.

Unter der Positionsmarke "Dialektik des Ganzen statt postmoderner Heterogenität" veröffentlichen wir Beiträge, die in der Hegel‑Marx‑Tradition den dialektischen Totalitätsbezug marxistischer Philosophie für die Situation nach 1989 aktualisieren. Als eine Hauptfrage hat sich entwickelt, ob eine durch Gegensätze bestimmte zersplitterte und durch Ungleichzeitigkeiten und Ungleichmäßigkeiten partikularisierte Welt ohne Bezug auf das Ganze und die Gesamtheit gedacht werden kann oder ob dieser Bezug nach wie vor unverzichtbar ist. Daß es dabei immer auch um Perspektiven, Veränderungsmöglichkeiten und Gestaltungsansprüche geht, liegt auf der Hand. Erich Hahn plädiert für eine Dialektik von Pluralität und Totalität und unterzieht von da her die Pluralismus‑Ideologie, die ein am Ganzen orientiertes Denken, also vor allem den Marxismus, als totalitär denunziert und aus dem wissenschaftlichen Diskurs auszugrenzen bemüht ist. Aus dem sanften Gesäusel einer Oppositionsideologie gegen den Marxismus ist inzwischen längst ein repressives Herrschaftsinstrument geworden. Im Anschluß daran stellt Eduardo Chitas in seinem Beitrag über die Marxsche Ferguson‑Lektüre einen frühen Theoretiker der bürgerlichen Gesellschaft vor. Es folgt Wolfgang Försters Skizze der damaligen und der fortwirkenden Leistungen der klassischen deutschen Philosophie ‑ bekanntlich eine der Quellen des Marxismus. Mit Thomas Collmers Abhandlung zu einem Kernstück der Dialektik Hegels möchten wir unsere Leser darauf verweisen, daß jede Generation ‑ und besonders in einer Situation wie der heutigen ‑ dazu aufgefordert ist, sich dialektisches Denken von den modernen Ouellen her anzueignen. Ein zweiter Teil wird in einer folgenden Z‑Ausgabe folgen. Der Pariser Philosoph Lucien Sève, hierzulande vor allem durch sozialpsychologische‑philosophische Subjektuntersuchungen bekannt, steuert abschließend eine Interpretation der Engelsschen "Dialektik der Natur" bei.

Mit "Klassen und Klassentheorie heute (IV)" setzen wir die Erörterung dieses Komplexes in Z fort und schließen ihn fürs erste ab. Ein zusammenfassender Uberblick ist für eines der nächsten Hefte vorgesehen. Der Publizist Gerhard Branstner lenkt uns mit durchaus eigenwilligen Fragestellungen auf Grundprobleme einer historisch‑materialistischen Geschichtsauffassung für die Gegenwart hin. Werner Seppmann enthüllt den Ideologiecharakter der derzeit vorherrschenden Paradigmen der akademischen Soziologie (Individualisierung usw.) und charakterisiert sie als geistige Reproduktionsformen moderner kapitalistischer Klassengesellschaft. Michael Vester, Autor und Mitautor vielbeachteter Studien zur Sozial­struktur Deutschlands, begründet zum einen seine Option für einen kulturhistorischen Untersuchungs‑ und Interpretationsansatz und stellt zum anderen Klassenmilieus als Kategorie und als aktuelle Realität vor. Wolfram Burkhardt bringt kritische Sichtweisen auf die deutschen Intellektuellen nach 1989 zum Tragen und stützt sich vor allem auf Gramseis Konzept des organischen Intellektuellen. Renate Rausch widmet ihren Text der Darstellung des Verhältnisses von Geschlecht und Klasse in der angelsächsischen Schichtungs‑ bzw. Klassentheorie, der feministischen Forschung und schließlich dem marxistischen Ansatz von Ursula Beer. Lothar Peter präsentiert die Ergebnisse einer von ihm geleiteten Untersuchung zu den Einstellungen der Beschäftigten in Bremer Rüstungsbetrieben zur Konversion ‑ aktuelle Einblicke in das Lohnabhängigenbewußtsein heute.

Den dritten Pol unserer Triadenstruktur macht der Komplex "Ökonomie und Politik: Kapitalismusanalyse aktuell" aus. Hans Joachim Höhme bringt eine Übersicht zur Weltwirtschaftsentwicklung 1995/6. Joachim Bischoff und Klaus Steinitz thematisieren die wirtschafts‑ und sozialpolitischen Konsequenzen finanzkapitalistischer Vorherrschaft. In einem zweiten Beitrag widmet sich Choon‑Kweon Koo der Entwicklung Japans und Südkoreas und zeigt die theoretische Überlegenheit des sozialökonomischen Interpretationsansatzes marxistischer Kapitalismusanalyse. Aktuelle Entwicklungen behandeln Elvio Dal Bosco (Italien nach den Wahlen vom Frühjahr '96) und Jochen Steinhilber (Frankreichs Dezember '95). Das von Jelena und Alexander Charlamenko auf unseren Wunsch geführte Wählertagebuch vermag zweifellos unsere Kenntnisse und Einsichten in die Ursachen und Ausformungen der politischen Kräfteverhältnisse im restaurativen Rußland heute zu befördern.

Der Aufmerksamkeit der Z‑Leser sei auch der Beitrag von Hans Jörg Schimmel empfohlen; er bereichert die "Trafo‑Diskussion" um einige neue Aspekte. Unsere Rubriken fallen dieses Mal schmaler aus als sonst.

Aufmerksamkeit erbitten wir für folgende Veranstaltungen:

1. Am 5. Oktober 1996 führen Z und IMSF in Frankfurt/M. (Haus der Jugend) eine Samstagstagung (10.00 bis 17.30 Uhr) durch. Thema: "Klassentheorie ‑ Schlüssel zur Bewegung unserer Zeit? Klassenanalyse und Klassentheorie heute in der Diskussion". Wir möchten hier die aktuellen Gesichtspunkte, die die Beiträge zur Klassentheorie in Z 24 ‑ 27 thematisiert haben, zur Diskussion stellen.

2. Am 14., 15. und 16. März 1997 findet an der Uni Hannover (Conti-Hochhaus‑Trakt, Königsworther Platz 1) die wissenschaftliche Tagung „Marxismus an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Bilanz und Perspektive" statt. Neben der Initiatorengruppe (Joachim Bischoff, Frank Deppe, Uwe Jens Heuer, Heinz Jung, Fred Schmid) sind Zeitschriften, Bildungseinrichtungen, Wissenschaftlergruppen der marxistischen Linken Träger des Projekts. Dazu gehören auch Z und das IMSF. Unser Redaktionsmitglied H. Jung bringt unser Interesse im Initiatorenkreis zur Geltung. Das Programm sieht vor: Einführungsreferate, Podiumsdiskussionen und etwa 30 Workshops. Ein großer Teil der anvisierten Referenten hat schon jetzt zugesagt. Angestrebt ist eine Teilnehmerzahl von etwa 500. Das komplette Programm wird gegen Ende des Jahres veröffentlicht. Es soll ein ausführliches Programmheft zur Verfügung gestellt werden. Es wird dies die erste große gesamtdeutsche Tagung der marxistischen Linken nach 1989 sein. Wir bitten um Unterstützung jeglicher Art und vor allem jetzt schon um Interessenbekundung, oder besser noch: um Anmeldungen auf dem beiliegenden Prospekt.

Bleibt uns noch, uns bei den Lesern für die Malheurs zu entschuldigen, die uns durch Unachtsamkeit bei Produktion und Versand des Registers passiert sind. So sind zum einen die Seiten 32 bis 34 mit einem falschen Text bedruckt und zum anderen wurde das Register nur einem Teil der Abo-Auflage beigelegt. Wir möchten diesen Fehler auf folgende Art beheben:

1. Wir legen der Gesamtauflage von Z 27 die drei richtig bedruckten Seiten bei. Sie können mit den Fehlseiten ausgetauscht werden.

2. Jenem Teil der Auflage, von dem wir sicher vermuten, daß in Z 26 das Register vergessen worden war, legen wir es nun bei.

3. Es ist möglich, daß wir einige nicht belieferte Abonnenten damit immer noch nicht berücksichtigt haben. Diese bitten wir sehr herzlich um eine kurze Mitteilung ‑ "Kein Register erhalten" genügt. Die Zustellung erfolgt unverzüglich nach Erhalt der Mitteilung.

Wir hoffen, daß nach dem Beheben des Mißgeschicks das Z‑Register 1990‑95 für seine Interessenten und Benutzer den vollen Gebrauchswert erlangt. Vielleicht ist es auch ein Argument, diesen oder jenen neuen Abonnenten zu gewinnen.
 

 
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