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Heft 26,
Juni 1996, 07. Jhrg
Editorial
Mit den Sparbeschlüssen der Bundesregierung ist
die soziale Konfrontation in den letzten Monaten spürbar härter geworden.
Der weitere Anstieg der Massenarbeitslosigkeit und der sich jetzt abzeichnende
Abschwung der Konjunktur sind der Hintergrund, vor dem Unternehmerverbände
und Regierung offenkundig abtesten, wie weit und wie rasch sie die Deregulierung
der Arbeitsmärkte, den Abbau sozialer Rechte und die Neustrukturierung der
sozialen Beziehungen (siehe z.B. die Diskussion um die Flächentarifverträge)
vorantreiben können. Mit Blick auf die Gewerkschaften fragte die FAZ höhnisch
am Vorabend des 1. Mai "Wie lange kämpfen sie noch?" Dieser Prozeß
bekommt jetzt eine rasche Dynamik, bei der freilich noch nicht klar ist, welche
Kräfte und Gegenkräfte er freisetzt. Denn unübersehbar ist auch,
daß mit der auch verbal zunehmenden Aggressivität der Henkel &
Co. gegenüber Arbeitslosen, "Krankfeiernden" und zu gut verdienenden
Beschäftigten am "Standort Deutschland" auch jene Gewerkschaftsvorsitzenden,
die meinen, daß "Anpassen oder Untergehen" die einzige Alternative
darstelle, wieder von dem sprechen müssen, worum es geht: "Kapitalismus
pur". Das vorliegende Heft ist (in Abänderung unserer ursprünglichen
Ankündigung in Z 25) diesem Themenkomplex gewidmet und steht unter dem Schwerpunktthema
"Asozialer Kapitalismus".
Vorangestellt haben wir zwei Kommentare zu aktuellen Diskussionen auf der Linken
hierzulande und links des Rheins. Michael Wendl gibt eine kritische Bewertung
des nunmehr vorliegenden DGB Programmentwurfs und seiner weitgehend apologetischen
Haltung zur kapitalistischen Marktwirtschaft. In den gleichen Kontext gehört
der Bericht über das Frankfurter Treffen der Gewerkschaftslinken, auf dem
dieses Dokument zurecht als Ausdruck der Krise der Gewerkschaften bezeichnet wurde
(185ff.). Es gehört freilich zur Dialektik der sozialen Konfrontation, daß
mit dem zunehmenden Druck des Klassenkampfs von oben Gegenbewegungen ausgelöst
werden, die Spielraum für eine kritische Diskussion auch im Gewerkschaftsbereich
schaffen können. Insofern ist die Auseinandersetzung um den Programmentwurf
des DGB noch keineswegs abgeschlossen.
Bemerkenswert, wenn auch hierzulande in der Tagespresse fast nur vom "Handelsblatt"
registriert, ist die "Premiere" der Linken in Frankreich. Nach den letztjährigen
Herbststreiks zeichnet sich ein Neuanfang der Diskussion um eine Formation der
politischen Linken Sozialisten, Kommunisten, Trotzkisten, Grüne gegen den
Austeritätskurs der Regierung ab, deren Resonanz in Frankreich als nicht
schlecht beurteilt wird. Eine ähnliche Tendenz auf anderer Ebene hatte sich
bereits im Zusammenhang mit der Pariser Tagung von "Actuel Marie" gezeigt,
über die wir in Z 24 (S. 134 ff.) berichteten. Die jüngsten politischen
Nachrichten deuten insofern auf eine Stabilisierung linker und demokratischer
Tendenzen in wichtigen Nachbarländern hin, worauf auch der (wenn auch knappe)
Wahlsieg von "L'Ulivo" in Italien über Berlusconis Kapital und
Medien Alfianz verweist.
Bemerkenswert auch, daß sich dabei die sozialistisch kommunistische
Linke in beiden Ländern stabilisiert und als gestaltender Faktor erwiesen
hat. Der Zusammenhang zwischen materiellen Klasseninteressen und sozialem Selbstbehauptungswillen
der Lohnabhängigen und ihrer politischen Artikulation bleibt also, wie vermittelt
auch immer, virulent. Wie sich die Entwicklung in Rußland bei den anstehenden
Präsidentschaftswahlen gestaltet, bleibt abzuwarten. Aus Objektiven (Notwendigkeit
des Staatssektors) wie subjektiven Gründen hat seit 1994 die kapitalistische
Restauration an Tempo verloren. Die Versplechungen, daß die "sozialen
Härten!" dieses Restaurationsprozesses nur Ubergangserscheinungen seien,
verlieren damit zunehmend an Zugkraft. Trotz der massiven Wahlinterventionen der
G7 zugunsten Jelzins ist hier der Kommunist Sjuganow zur (parlamentarischen) Alternative
aufgerückt, eine Entwicklung, die noch vor kurzem für unmöglich
gehalten wurde.
Zum Hauptthema des Heftes. Im Vergleich Bundesrepublik USA erweisen sich der Abbau
der Sozialfunktion des Staates und die Absenkung der Lohn und Sozialeinkommen
als gemeinsame Züge der Deregulierungsstrategie. Jörg Huffschmid zeigt,
daß das vielgepriesene "Beschäftigungswunder" in den USA
im wesentlichen eine Ausweitung prekärer und minderbezahlter Beschätigungsfelder
ist, mit der Konsequenz einer großangelegten Umverteilung der Einkommen
zugunsten der Reichen und Kapitalisten. Die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung
folgt, wie Hans Joachim Höhme in seiner Konjunkturanalyse hervorhebt, diesem
Muster und trägt damit zur Beschleunigung des konjunkturellen Abschwungs
bei. Johannes Steffen gibt eine Ubersicht zum Kanon angekündigter sozialpolitischer
Eingriffe, die Billiglöhne erzwingen und die Arbeitslosigkeit als soziales
Druckmittel wirksam machen sollen. Die Konsensformeln, mit denen die Gesellschaft
weichgeknetet wird, um diesen Sozialabbau zu akzeptieren, sind, so Peter Scherer,
die "Standort-" und "Globalisierungs-" Argumente. Die hegemoniale
Absicherung des Deregulierungskurses hängt dabei ganz wesentlich davon ab,
wie weit sich diese Raster in Sozialdemokratie und Gewerkschaften durchsetzen
oder auf Gegenwehr stoßen. Das verweist zurück auf die aktuelle gewerkschaftliche
Programmdiskussion.
In einer Reihe von Beiträgen, die in diesem Heft unter der Rubrik "Klassen
und Klassentheorie heute (III)" zum Abdruck kommen, werden die hier skizzierten
Probleme aufgenommen. Uwe Kremer betont die besondere Bedeutung der sozialökonomischen
Ebene für die Analyse von Klassenbeziehungen. Er hält eine Umgruppierung
der politischen Kräfte in der Bundesrepublik für möglich. Entscheidend
sei die Formierung eines "Blocks für den ökologisch sozialen Umbau"
gegen den "Standort Block". Sebastian Herkommer diskutiert kritisch
das Konzept der "underclass", mit dem die sozial marginalisierten Gruppen
gefaßt werden. Frank Deppe untersucht "Auf- und Abstieg" der "neuen
Mittelklasse", also der lohnabhängigen Mittelschichten. Die sozialen
Absteiger aus diesen Schichten sind heute zwischen Eliten und "underclass"
eingeklemmt und massivem sozialen Druck ausgesetzt. Ihre "Angst vor dem Absturz"
ist eine der treibenden Kräfte, die zur Festigung konservativer Hegemonie
beiträgt, ein Prozeß der sich auch in den beschäftigten Gruppen
der Lohnarbeiterschaft reproduziert, die auf Standortsicherung setzen. Henning
Böke setzt die Diskussion um Begriff und Inhalt von Klassenkampf fort (vgl.
J. Kergoat in Z 24, S. 19ff.) und untersucht, wie Kampf um materielle Interessen
und Kampf um "Anerkennung", also um Würde, Identität und Selbstbehauptungswillen
sozialer Gruppen, in sozialen Bewegungen sich durchdringen. Peter Brenner gibt
eine Ubersicht zu klassentheoretischen "essentials" aus Sicht der DKP.
Wir werden die Klassendiskussion auch in Z 27 fortführen. Beiträge von
W. Burkhardt, K.H. Roth, G. Branstner, H. Jung, W. Seppmann u.a. sind angekündigt.
Am 5. Oktober stehen die bisherigen Beiträge wie durch sie aufgeworfene Fragen
bei einer Veranstaltung von IMSF/Z in Frankfurt/M. (Haus der Jugend) zur Debatte
(sh. Ankündigung in diesem Heft).
Die Palette der "weiteren Beiträge" enthält in dieser Ausgabe
von Z Aufsätze zu Wilhelm Weitlings kritischer Beurteilung eigener (früh
)sozialistischer Versuche (W. Seidel Höppner) und zur Diskussion um die nationale
Frage (H. Bleiber). Mit Mexiko und der NAFTA beschäftigt sich D. Boris; das
Konzept des "asiatischen Kapitalismus" wird in einem Beitrag von C K.
Koo kritisch beleuchtet. H. Jung verfolgt die theoretische Entwicklung der Zeitschrift
"PROKLA". Die neue "Faust" Edition des konservativen Literaturwissenschaftlers
Schöne befragt Th. Metscher auf ihre subtilen ideologischen Gehalte.
Unter "Linke Politikansätze" stellt in diesem Heft der DKP Vorsitzende
H. Stehr die Vorstellungen seiner Partei für eine linke Alternative vor.
Unter "Berichte" geht es um die DGB Programmdiskussion, um die Tagung
"Crossover" in Berlin und um eine Diskussion zu den Volksentscheiden
1946 über die Überführung von Schlüsselindustrien in Gemeineigentum
in Sachsen und Hessen und entsprechende Auseinandersetuzungen im Ruhrgebiet. Dazu
sei summarisch auf Diskussionszuschriften und Rezensionen verwiesen.
Das angekündigte Register zu den ersten sechs Jahrgängen von Z liegt
diesem Heft bei. Das Register kann auch gesondert zum Preis von DM 10,DM (inkl.
Versandkosten) bezogen werden. Es weist aus, was Redaktion und AutorInnen von
Z seit dem ersten, im März 1990 erschienenen Heft zu bieten hatten und haben,
wo die Schwerpunkte der Zeitschrift liegen, ihre Stärken und Schwächen.
Der Zweck des Registers wäre erfüllt, wenn er die zurückliegenden
Jahrgänge für interessierte Leser erschließt und zugleich Anregungen
für neue Beiträge alter und neuer AutorInnen gibt. Und, natürlich,
das Register kann auch als Anregung dazu dienen, alte Hefte zu bestellen und neue
Abos aufzugeben.
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