Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung
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Heft 23, September 1995, 06. Jhrg

Editorial

Wir möchten uns an erster Stelle bei unseren Autorinnen/Autoren und Lesern/Leserinnen von Z 22 für die mangelhafte Korrektur- und Formatierungsqualität entschuldigen. Sie war das Ergebnis einer von uns leider nur ungenügend bewältigten Umstellung unserer Technik. Wir hoffen, daß die vorliegende Ausgabe wieder dem gewohnten Z-Standard entspricht. Erfreulich sind die meist mündlich übermittelten Reaktionen auf den Engels-Schwerpunkt der letzten Ausgabe, auch wenn sie sich hauptsächlich als Widerspruch artikulierten. Die zum Teil auch provokativ gegen die Lesarten von Friedrich Engels zur Frühgeschichte vorgetragenen Interventionen haben also hinreichende Reibungsflächen geschaffen. Die Suche nach neuen Horizonten geht offenkundig nicht ohne kritischen Rückblick ab, und die Strategieoptionen der Gegenwart sind wohl auch nicht ohne Einfluß auf die Neuinterpretation der Frühgeschichte. Es sind also nicht nur neue Ergebnisse der Frühgeschichte, die zu verhandeln sind.

Nicht nur Z, sondern auch "Marxistische Blätter", "Topos" u.a. haben bisher Engels-Hefte vorgelegt. Es beibt zu hoffen, daß marxistisches Denken gerade aus der Kontroverse neue Vitalität gewinnt - auch bei den anstehenden Engels-Konferenzen in den verbleibenden Monaten des Jahres. Der Eröffnungsbeitrag von Eckart Spoo "Reichtum und Armut" stellt an einem "klassischen" Thema der Gesellschaftskritik einen aktuellen Berührungspunkt mit Friedrich Engels für Z 23 her.

Viel zu wenig ist Z in der Lage, auf aktuelle politische Entwicklungen einzugehen. Wir können dies, wenn überhaupt, dann meist nur verspätet tun. Nur kurz nach den Gedenkveranstaltungen zum 50. Jahrestag der Befreiung Deutschlands von Faschismus und Militarismus mit ihren Normalitätsbekundungen und Besserungsgelöbnissen erhebt der deutsche Neoimperialismus, dessen Kontinuitätslinie nicht zu vergessen ist, auch militärpolitisch mit dem Einsatz von Militärpersonal in Jugoslawien - einem durch den deutschen Faschismus besonders geschundenen Land - wieder sein Haupt. Propagandistisch gibt er sich als durch die NATO-Verbündeten gedrängt. Aber es ist ein Konflikt, den er hauptsächlich mit verursacht und in dem er kontinuierlich und einseitig interveniert hat. Die Zerschlagung Jugoslawiens war in der außenpolitischen Komponente hauptsächlich das Werk der deutschen Diplomatie und ihrer verdeckten Militärpolitik. Und zur Eskalation haben das einseitige Eingreifen zugunsten des bosnischen Izetbegovic-Regimes und der Ustascha-Nachfolger Kroatiens sowie die zügellose Anti-Serben-Hetze beigetragen. Die herrschende Klasse Deutschlands hat aus der Geschichte nur wenig gelernt.

Aber auch auf der Linken ist der frühere antiimperialistische und pazifistische Grundkonsens unter dem Druck scheinheiliger und verlogener Menschenrechtskampagnen aufgeweicht und hat an dessen Stelle bei einem Teil, u.a. der Grünen, den Drang nach Beteiligung an der Herrschaft der "Zivilisation über die Barbaren", wie man früher sagte, treten lassen. Umso mehr ist es an der Zeit, daß die ihren Prinzipien treu gebliebene Linke, darunter auch die Marxisten, nach dem Untergang des Realsozialismus in Europa wieder zu sich findet, unmißverständlich antiimperialistische Positionen bezieht und Kraft für den politischen Widerstand freisetzt.

Die Wucht der Kriegsbeteiligungskampagnen und der Anti-Serben-Hetze verweist auch auf neue Realitäten des Kapitalismus, die nicht nur mit der Wirksamkeit moderner Massenmedien zusammenhängen, sondern auch mit dem Fehlen alternativer und massenwirksamer Kristallisationspunkte in der angeblich pluralistischen Medienlandschaft. Berlusconi ist überall. Und mit dem neuen Multimedia-Zeitalter versprechen die Gedanken der Herrschenden in noch intensiverem Maß die herrschenden Gedanken zu werden. Dies setzt auch die Bedingungen für jegliche Opposition.

Es versteht sich, daß die Beiträge unseres Schwerpunktes "Medien und Kapitalismus vor dem digitalen Umbruch" nur einige, wie wir hoffen aber zentrale, Aspekte des Komplexes ausleuchten können. Conrad Schuhler bietet zum Einstieg einen Essay, der die Themen anschlägt und den Mythos Informationsgesellschaft mit der Realität konfrontiert. Hans-Jürgen Michalski stellt die technischen und ökonomischen Entwicklungen des Multimedia-Komplexes vor allem in Deutschland vor. Horst Holzer gibt mit aktuellstem Material einen Querschnitt zu Zuschauerquoten, Sehpräferenzen und Wechselwirkung mit der TV-Entwicklung - für Profis und Zuschauer sicher gleichermaßen von Interesse. Detlef Kannapin geht im Kontext der kritischen Theorie einigen Aspekten der Ideologiefunktion der Medien nach. Werner Seppmann weitet die Betrachtung der neuen Dimensionen fremdbestimmter Realitätsaneignung auf den Computeralltag aus. Heinrich Bleicher-Nagelsmann legt einen Uberblick über die aktuellen Auseinandersetzungen um die Gestaltung der elektronischen Medien vor und geht dabei besonders auf die Vorstellungen der Gewerkschaften ein. Schließlich gibt Klaus Pickshaus eine Zwischenbilanz zur Positionsentwicklung und den entsprechenden Aktivitäten der Gewerkschaften zur Gestaltung des Medienkomplexes. Zum Schwerpunkt gehören ebenfalls Beiträge in den Rubriken "Berichte" und "Buchbesprechungen".

Der Block "Weitere Beiträge" hat dieses Mal eine breite inhaltliche Streuung, die hoffentlich den Interessen unserer Leserinnen und Leser entgegenkommt. Jaques D'Hondt problematisiert den Begriff der europäischen Philosophie von ihren Ursprüngen, ihrer Geschichte und ihrem universellen Auftrag her. Bei der Erörterung der Rolle herausragender Persönlichkeiten der Geschichte hebt Elisabeth Bessau besonders die politisch-moralische Seite hervor. Hans Luft äußert sich aus der Sicht eines früheren DDR-Ökonomen zu den Eigentumsformen fünf Jahre nach Angliederung der DDR. Joachim Bischoff geht auf ein zentrales Problem der Strategieund Orientierungsdebatte eines Teils der Linken ein und stellt Gesell schaftsvertrag - für ihn ein Synonym für Klassenkompromiß - und Klassenkampf in die Perspektive eines zivilgesellschaftlichen Sozialismus.

Mit "Linke Politikansätze in Deutschland heute" eröffnen wir eine neue Serie, die in den kommenden Ausgaben fortgesetzt werden soll. Autorin des ersten Beitrages ist Ellen Brombacher, Sprecherin der Kommunistischen Plattform in der PDS (KPF). Zum Thema PDS gibt es aus aktuellen Anlässen auch Beiträge in den Rubriken "Berichte" und "Buchbesprechungen". Wie meist, so sind auch in Z 23 die Rubriken z.T. wieder prall bestückt und finden hoffentlich geneigte Leserinnen und Leser.

Mit einem Schwerpunkt zu "Klassen und Klassentheorie heute" wollen wir die Diskussion über diesen Komplex in Z 24 beginnen und in den folgenden Ausgaben fortführen. Wir fordern zu einer regen Beteiligung auf. Informieren möchten wir über den Wechsel im Vorsitz eines unserer Herausgebervereine, dem Forum Marxistische Erneuerung e.V. Auf der letzten Mitgliederversammlung trat Dr. Fritz Krause aus Altersgründen von dieser Funktion zurück. Das Projekt Z ist ihm für seinen Einsatz zu außerordentlichem Dank verpflichtet und möchte diesen auch hier ausdrücken. Fritz Krause bleibt uns weiterhin als Mitarbeiter und unterstützender Freund verbunden. Zum neuen Vorsitzenden wurde Gerhard Fisch, Frankfurt/Main, gewählt.

Erinnern möchten wir an die IMSF/Z-Veranstaltungen in den kommenden Monaten. Dieser Ausgabe liegt ein Einladungsprospekt bei, von dem wir regen Gebrauch zu machen bitten und an den wir, wie immer, unser 'ceterum censeo' anschließen: Z braucht neue Abonnenten, Käufer und Distributeure!

Wir gedenken des Genossen Leo Koller, der, geboren 1907 in der Ukraine, am 30.7.1995 in Köln gestorben ist. Wir verlieren mit ihm einen bedeutenden marxistischen Theoretiker, von dem wir noch vor einem Jahr, in Z 19, einen Text veröffentlichen konnten. Er war ein Mann, der sich auch nach dem Konflikt mit der SED und seiner Flucht aus Halle/Saale, wo er nach der Rückkehr aus der Emigration einen Lehrstuhl für Sozialphilosophie erhalten hatte, nach Köln dem hier herrschenden Antikommunismus nicht beugte und deshalb nur unter äußerst schweren materiellen Bedingungen wissenschaftlich weiter arbeiten konnte. Vielleicht wurde er gerade deshalb für viele junge Intellektuelle zum geistigen und politisch-moralischen Mentor. Mit Respekt gedenken wir auch Ernest Mandels, geboren 1924 in Frankfurt/Main, gestorben am 20. Juli 1995 in Brüssel. Er war nicht nur eine der führenden und aktivsten Persönlichkeiten der trotzkistischen IV. Internationale, sondern auch ein unermüdlicher marxistischer Theoretiker und Propagandist, der vor allem seit den 60er Jahren Generationen junger Linker die marxistische politische Ökonomie nahe brachte.
 
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