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Heft 21,
März 1995, 06. Jhrg
Editorial
Am Beginn dieser Ausgabe von Z steht
ein Kommentar von Lorenz Knorr zur geistig-politischen Situation Deutschlands
50 Jahre nach der Befreiung vom Hitlerfaschismus, in der Großmachtambitionen,
die ihre Legitimation aus Geschichtsrevisionismus zu gewinnen suchen, erneut ihre
Schatten werfen. Wir verstehen dies als unsere Einstimmung auf die Diskussionen
um den 8. Mai 1945.
Unser Schwerpunktthema "Demokratie - Herrschaft und Emanzipation" zielt
auf einen Kernpunkt marxistischen Selbstverständnisses heute, kann es doch
kaum einen Zweifel daran geben, daß das ungelöste Demokratieproblem
ein Hauptgrund der Deformation und des Zusammenbruches des Realsozialismus in
Europa war. Somit müssen die alten Fragen in einem neuen Licht gelesen werden.
Unzweifelhaft ist aber auch, daß Demokratie in ihrer Ausprägung als
Repräsentativsystem politische Herrschaftsform der bürgerlich-kapitalistischen
Gesellschaft ist, die sozialen Emanzipationsansprüchen Grenzen zieht. Nach
dem Ende der Systemkonkurrenz werden diese Grenzen offenkundig schärfer konturiert.
Nach der Diagnose des Demokratietheoretikers Helmut Dubiel tritt nun die "innere
Affinität der liberalen Demokratie zu undemokratischen Herrschaftsformen"
unverstellt zutage und "die immanente Kritik der liberalen Demokratie (wird)
unausweichlich" (Frankfurter Rundschau v. 12.3.1994). Wir hoffen, daß
dieser Schwerpunkt Anregungen zum Einrasten in diese Konstellation gibt.
Den Reigen der Schwerpunktbeiträge eröffnet Hermann Klenner, der nach
knapper Theorieexegese die Demokratiedefizite im herrschenden Verfassungs- und
Menschenrechtsverständnis und in der politisch-sozialen Praxis dieses Landes
ins Visier nimmt. Es folgt Hans-Jürgen Bieling, der die Tendenz zu einer
"autoritär-produktivistischen Demokratie" aus der Analyse der politikwissenschaftlichen
Diskurse herausfiltert. Es schließen sich Beiträge mit unterschiedlicher
Akzentuierung des Hauptthemas an. Norman Paech erörtert auf dem Hintergrund
der auch in der herrschenden Demokratiediskussion aufgegriffenen Wertewandeldebatte,
welche Stellung wohl Wolfgang Abendroth heute einnehmen würde. Werner Goldschmidt
zieht Linien von der ungelösten Demokratiefrage im Realsozialismus zu theoretischen
Defiziten, die aus seiner Sicht schon bei Marx und Lenin angelegt sind. Heinz
Jung plädiert demgegenüber für eine Reaktualisierung der Marx-Engelssehen
Grundsatzkritik an der Demokratie als politischer Herrschaftsform. Harald Werner
bringt das Konzept der Wirtschaftsdemokratie, wie es von der Gruppe um Naphtali
in den 20er Jahren ausgearbeitet worden war, mit Blick auf seine Wirkungsgeschichte
und die heutige Problemlage in Erinnerung. Georg Fülberth lenkt die Aufmerksamkeit
auf die Regression theoretischen Denkens der Linken am Beispiel der Komplexe Zivilgesellschaft,
Totalitarismus und Kommunitarismus. Thomas Klein bringt einen selbstkritischen
Rückblick auf die Wendezeit der DDR aus der Sicht der basisdemokratisch orientierten
Oppositionsgruppe "Vereinigte Linke".
Es folgen weitere Beiträge zur Konjunktursituation (Hans-Joachim Höhme)
und zum internationalen Finanzsystem (Joachim Bischoff) sowie zu einer ökologischen
Reformstrategie (Dietmar Düe/Karl-Hermann Tjaden). Fritz Rische, dem wir
hiermit nachträglich zu seinem 80. Geburtstag am 25.12.1994 gratulieren,
bringt als letztes noch lebendes Mitglied der KPD-Fraktion im Deutschen Bundestag
von 1949-53 einen Rückblick auf deren Tätigkeit. Josef Schleifsteins,
der am 15.3.1995 80 Jahre alt geworden wäre, möchten wir in durchaus
aktueller Perspektive mit dem Abdruck eines Textes zur Haltung der Sozialdemokratie
gegenüber dem aufkommenden Faschismus gedenken.
Zu einem kleinen Block haben wir die schon im letzten Jahr eingegangenen Beiträge
zur Debatte um die Wert-Preis-Transformation bei Marx von Schaupeter, Fülberth,
Katzenstein und Tesch zusammengefaßt. Mit dem Text von Georgios Stamatis,
der schon in den 70er Jahren wichtige Akzente gesetzt hatte, dürfte die Debatte
an theoretischem Tiefgang gewinnen.
Die Rubrik Berichte enthält wieder Informationen über Tagungen, darunter
auch über die IMSF/Z-Konferenz vom November 1994. Leider können deren
Beiträge nicht in einem gesonderten Band publiziert werden. Auch deshalb
ist der Bericht etwas ausführlicher als üblich ausgefallen. Umfangreich
wie immer ist der Rezensionsteil. Insgesamt bietet Z 21 wieder auf 288 Seiten
ein vielseitiges Angebot. Gleichwohl steht für uns die immer wieder proklamierte
Verschlankungskur ins Haus, die wir spätestens im zweiten Halbjahr anzutreten
haben.
Wir bitten die Leserinnen und Leser, die Veranstaltungstermine des IMSF und von
Z für 1995 am Ende des Heftes zur Kenntnis zu nehmen und sich gleichzeitig
als herzlich eingeladen anzusehen.
Monika Domke und Sabine Kebir, die auf eigenen Wunsch aus dem Redaktionsbeirat
von Z ausgeschieden sind, möchten wir für ihre Beteiligung danken. Sie
beklagten vor allem die aus ihrer Sicht fehlende Beschäftigung mit der Frauen-
und Geschlechterfrage, deren Aufarbeitung sie Z auch nicht mehr zutrauen. Sie
wollen als Autorinnen Z weiterhin verbunden bleiben. Darin sieht die Redaktion
die Möglichkeit, das Gespräch mit ihnen fortzusetzen.
Zum Schluß möchten wir, penetrant wie immer, wieder die Trommel für
die Gewinnung neuer Abonnements rühren, wird doch vor allem davon die langfristige
Fortführung des Projektes abhängen. Aber natürlich gibt es noch
weitere Möglichkeiten der Unterstützung (Geschenkabos, Büchertisch-
und Kommissionsverkauf, Spenden u.a.), wozu auch die Nachfrage bei der einschlägigen
Buchhandlung am Ort gehört, ob sie es nicht auch einmal mit Z versuchen wolle.
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