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Heft 19,
September 1994, 05. Jhrg
Editorial
Der Schwerpunkt dieses Hefts lautet
"Gewerkschaften in der Krise - Krise der Gewerkschaften". Mit ihm setzen
wir eine Diskussion fort, die auch in Z 11 und Z 13 mit Beiträgen über
die gewerkschaftliche Orientierungsund Strategiedebatte breiten Raum eingenommen
hatte. Grundtenor des jetzigen Schwerpunkts ist die Auseinandersetzung mit der
die Gewerkschaftsentwicklung stark bestimmenden Richtung einer "neuen Sozialpartnerschaft",
einer "neuen Beteiligungsorientierung" oder eines "Co-Managements".
Im Kern der Sache geht es um die Kritik an einem sich neu und modern gebenden
Ansatz, der Gewerkschaftspolitik und Kapitalismuskritik definitiv entkoppeln will,
dem Klassengegensatz von Kapital und Arbeit schwindende Bedeutung zur Erklärung
der gesellschaftlichen Realität und zur Definition gewerkschaftlicher Strategie
und Programmatik zuerkennt und dabei die Relevanz der Verteilungskonflikte für
Gewerkschaften und ihre Basis verdrängt. Dieser Ansatz ist verbunden mit
einer fundamentalen Absage an das als veraltet und zu defensiv kritisierte Gegenmachtkonzept.
So absurd diese Herangehensweise angesichts der kapitalistischen Krisenrealität,
der Krise des Sozialstaats und der konservativen Deregulierungsoffensive erscheinen
mag, so notwendig ist nichtsdestoweniger die Auseinandersetzung mit seinen Inhalten
und Intentionen.
Das geschieht hier auf thematisch recht vielfältige Weise. Frank Deppe eröffnet
die Diskussion mit Überlegungen zur Alternative Diskurs und Beteiligung statt
Gegenmacht und Interessenpolitik. Heinz Bierbaum und Hans Urban erörtern
die Erosion gewerkschaftlicher Gegenmacht und Gegenmachtkonzepte im Modernisierungsprozeß.
Lutz Brangsch untersucht die spezifische Funktion der Gewerkschaften in Ostdeutschland,
und Ulrich Brinkmann und Matthias Seifert fragen, wieso die Gewerkschaften es
versäumen, rechtsextremistischen Ungleichheitsideologien wirksamer entgenzutreten.
Harald Werner gibt einen Überblick über die Diskussion gewerkschaftlicher
Bildungsarbeit, Klaus Pickshaus präsentiert Überlegungen zur Herausforderung
der Gewerkschaften durch neue Technologien im Medienbereich, ein bisher von den
Gewerkschaften eher verschlafenes Thema. Ursula Schumm-Garling greift die Frage
der Beschäftigtenbeteiligung kritisch auf und fragt nach deren Chancen und
Risiken. Den vorläufigen Abschluß bildet ein Überblick von Kyôichi
Maekawa über die Gewerkschaften in Japan. Für den Heftschwerpunkt waren
Frank Deppe und André Leisewitz redaktionell verantwortlich.
Die in Heft 18 begonnene Rubrik Wahlen setzen wir diesmal mit zwei Beiträgen
fort, die Probleme der Linken im Superwahljahr thematisieren. Jürgen Reusch
geht der seit den Wahlerfolgen der PDS aktuell gewordenen Diskussion um den Begriff
der linken Mehrheit nach, Uwe Kremer diskutiert das schwierige Verhältnis
zwischen der SPD und der Linken und analysiert die inneren Strömungen und
Tendenzen in der SPD.
Der Schwerpunkt von Z 18 - Anthropologische Lücke im Marxismus? - wird diesmal
mit drei weiteren Beiträgen fortgesetzt. Leo Kofler, einer der Altmeister
marxistischer Philosophie, erörtert unter dem Titel "Kontemplation als
bürgerliche Ideologie" einige Grundgedanken marxistisch-materialistischen
Herangehens an Gesellschaft und Geschichte, und Peter Degkwitz diskutiert Modellvorstellungen
zur Drogenproblematik. Werner Seppmann wendet das Gesamtthema noch einmal mit
Anmerkungen zum Anthropologie-Komplex, die dem Verhältnis von Normativität
und Gesellschaftskritik gewidmet sind. Am Beginn dieses Abschnitts steht noch
der zweite Teil des Artikels von Peter Scherer zur Geographie des Kapitalismus
nach 1990.
In der Rubrik Berichte informiert Heinz Schäfer über eine Gewerkschaftsdiskussion
bei der Marx-Engels-Stiftung, Horst Heininger resümiert die Debatte über
die SMK-Theorie und über marxistische Kapitalismustheorie überhaupt
am Beispiel des Berliner Arbeitskreises Kapitalismusforschung, der den Lesern
und Leserinnen bei dieser Gelegenheit vorgestellt wird, und Corell Wex gibt einen
polemischen Bericht über den 6. Deutschen Kommunikationstag "Wunderwelt
Wirklichkeit". Die Rubrik Diskussion, Kritik, Zuschriften wird mit drei Beiträgen
von Hans Henning Adler, Hermann Krüger und Monika Domke fortgesetzt. Der
Rezensionsteil ist auch in diesem Heft wieder recht ausführlich geworden
- elf Rezensionen auf insgesamt 44 Druckseiten befassen sich sowohl mit Titeln
zum Heftschwerpunkt als auch mit anderen aktuellen Neuerscheinungen.
Wir wollen nicht den Hinweis auf eine für den Herbst in Frankfurt/Main gemeinsam
mit dem IMSF e.V. geplante Tagung versäumen. Am 19./20. November werden wir
mit verschiedenen Referenten und hoffentlich zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern
Ansätze gesellschafts- und kapitalismuskritischer Optionen unter dem Titel
"Kapitalistische Marktökonomie und Demokratie ohne Transformationsperspektive?"
diskutieren. Die Leserinnen und Leser von Z sind dazu herzlich eingeladen. Genauere
Hinweise können der in diesem Heft enthaltenen Anzeige entnommen werden.
Die Redaktion plant außerdem, die im Schwerpunkt dieses Hefts erörterten
Fragen zur Gewerkschaftsentwicklung in einer kleineren Diskussionsrunde ebenfalls
im Herbst dieses Jahres zu vertiefen. Vorschläge und Teilnahmewünsche
dazu sind uns ebenfalls willkommen.
Die Redaktion dankt für Zuschriften und eingesandte Manuskripte. Sie bittet
zugleich um Beteiligung der Leserinnen und Leser an der Verbreitung von Z und
der Gewinnung neuer AbonnentInnen. Nicht zuletzt davon hängt die Fortführung
des Projekts ab. Z 20 erscheint im Dezember 1994 und hat den Schwerpunkt "Marxismus
und Geschichte in der Restaurationsperiode".
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